In den „Qualitätsmedien“ wird (u.a. mit Bezeichnungen wie „mittelalterlich“) immer wieder suggeriert, dass der Islam für vermeintliche Rückständigkeiten in der islamischen Welt verantwortlich ist. Eine gründliche Untersuchung zeigt: Der Herausbildung der islamischen Zivilisation folgte eine Periode unglaublichen wissenschaftlichen Fortschritts.

Die Entstehung der islamischen Zivilisation begann mit der Hedschra im Jahr 622 n. Chr. In Medina entstand in der Folge eine neue, nach den Gesetzen des Islams funktionierende Ordnung. Der überwältigende kulturelle Aufschwung der Wüstenaraber nach dem Auftreten des Islam ist auch als „arabisches Wunder“ bezeichnet worden und kann als eine der merkwürdigsten Erscheinungen der Geistesgeschichte angesehen werden. Die Wüstenaraber hatten vorher zu keiner Zeit – weder kulturell noch politisch – eine Rolle gespielt. Ihr Aufstieg erfolgte in kürzester historischer Frist und praktisch aus dem Nichts. Sicher hatte Mohammed die vorher von Stammeskriegen gekennzeichnete Arabische Halbinsel befriedet und politisch geeint – es war aber die neue Religion, die ein geistiges Klima schuf, in dem die Wissenschaften gedeihen konnten und es zu ungeheuren kulturellen Leistungen kommen konnte. Denn der Islam betrachtet den Erwerb von Wissen als eine Verpflichtung für jeden Muslim bzw. für jede Muslima. In einer Überlieferung des Propheten heißt es in diesem Zusammenhang: „Das Streben nach Wissen ist eine Pflicht für jeden Muslim.“ Der Islam, der heutzutage im Westen häufig für Rückständigkeit und Unterentwicklung verantwortlich gemacht wird, kann in Wirklichkeit durchaus als Religion des Wissens bezeichnet werden. Für den Islam hat das Wissen eine große Bedeutung, der Koran betrachtet es als Grundlage für die Unterscheidung zwischen den Menschen. Folglich hatten die Gelehrten in der muslimischen Gesellschaft stets ein hohes Ansehen. Im Koran wird dies wie folgt beschrieben: […] Sprich: Sind etwa diejenigen, die wissen, und diejenigen, die nicht wissen, gleich? Doch bedenken nur diejenigen, die Verstand besitzen. (Q 39:9)

Herausragende islamische Wissenschaftler

Die Bedeutung, die der Islam dem Erwerb von Wissen beimisst, führte in der muslimischen Gesellschaft schließlich dazu, dass das Suchen, Forschen und Erlernen von Wissen sowie die Leistungen der Gelehrten als eine Form der Anbetung gesehen werden. So entstanden in wenigen Jahrzehnten Zentren für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung wie in Bagdad. Die führende Stellung der islam. Welt im Bereich der Wissenschaften ist noch heute an der arabischen Vorsilbe al- bei grundlegenden Fachbegriffen wie Algebra, Alchemie und Alkalien erkennbar. Da man die Freiheit der Forschung stets förderte, waren muslimische Gelehrte nicht selten auch Fachleute auf unterschiedlichen wissenschaftlichen Gebieten.

Beispielsweise haben muslimische Gelehrte wie Ǧābir b. Hayyān (Geber; gest. 815), al-Ḫawārazmī (Algorismi; gest. 850), Ibn Sīnā (Avicenna; gest. 1037), Ibn Rušd (Averroes; gest. 1198), Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 1209), Ibn an-Nafīs (gest. 1288) und andere, große Errungenschaften in natur- und geisteswissenschaftlichen Themengebieten, wie Medizin, Mathematik, Chemie, Physik, Astronomie, Geographie und Philosophie, hervorgebracht. Folglich gab es, im Gegensatz zur Entwicklung im christlichen Abendland, keinen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion. So hat die islamische Zivilisation den wissenschaftlichen Fortschritt vorangetrieben, nachdem die Welt lange Zeit von der griechischen Wissenschaft dominiert wurde. Dezimalbrüche, Neuerungen in Algebra, Geometrie und Trigonometrie wurden erstmals während dieser Epoche von muslimischen Denkern erfunden. Ebenso wurde die Zahl 0, die bis dahin in Europa unbekannt war, in der Mathematik hinzugefügt. Darüber hinaus hatten Wissenssuchende, unabhängig von Nationalität, Religion oder Rasse, Zugang zu den islamischen Universitäten in Andalusien, Bagdad, Sizilien, Ägypten usw.

Wissenschaftliches Erbe

Die Muslime sammelten das griechische Vermächtnis und übersetzten es auf verlässliche und glaubwürdige Weise ins Arabische, bevor diese ins Lateinische übersetzt werden konnten. Die Übersetzungen und Kommentare zu den Büchern der alten, griechischen Philosophen entstanden daher großteils an diesen Universitäten. Während die Schriften Platons und Aristoteles in Europa verpönt waren, bewahrte sie die arabische Übersetzung davor, verloren zu gehen. Auf diese Weise hat die islamische Zivilisation der Menschheit in relativ kurzer Zeit ein gewaltiges Erbe hinterlassen. Schließlich konnten europäische Gelehrte erst darauf aufbauend in vielen Wissensbereichen Fortschritte erzielen und neue Erfindungen sowie Entdeckungen machen.

Bild: Zeichnung des Astronomen al-Battani