Die Existenz ist das Einzige, das nicht bewiesen werden muss und das jeder instinktiv, entweder in seiner Essenz oder durch Versuch und Erfahrung wahrnimmt. Es gibt nichts Offensichtlicheres als die Existenz und alles wird in ihrem Lichte wahrgenommen.[1] Die Existenz steht mit „Licht“ in Verbindung. Wenn Licht etwas bescheint, dann erhellt und bestimmt es dieses Objekt und bewirkt, dass dieses Objekt von den umliegenden Objekten hervorgehoben wird. Mulla Sadra, einer der bedeutendsten islamischen Philosophen, hat durch seine Lehren bis heute eine Wirkung auch auf nicht muslimische Intellektuelle. Er genießt sowohl in religiöser, als auch in philosophischer Hinsicht große Anerkennung. Die Basis seiner Lehren basieren teilweise auf philosophische Lehren, die bis zum 9. Jahrhundert zurückgehen.
Islamische Philosophen
Große Denker des 9. und 10. Jahrhunderts wie Kindi und Farabi beschäftigten sich mit der Philosophie der griechischen Antike und trugen dazu bei, dass dieses Wissen durch Übersetzungen in die arabische Sprache für die islamische Welt zugänglich ist.
Abu Ali Ibn Sina, latinisiert „Avicenna“, trug ab dem 11. Jahrhundert dazu bei, dass philosophische Überlegungen eine Antwort auf wichtige Fragen der Menschen sein könnten. Im Zentrum seiner Philosophie stehen die Ontologie, die Theologie und die Psychologie, Themen die sein Vorgänger Farabi zurückstellte.
Die Ursachenkette
Ibn Sinas Ontologie basiert auf der Feststellung, dass die Existenz jedes „Dinges“ nachweisbar ist. Seine Philosophie geht dabei nicht von einer evidenten Sinneserfahrung aus (wie bei früheren muslimischen Denkern üblich), sondern er betont die Autonomie des Intellekts. Eine weitere wichtige Frage in seiner Philosophie war, ob das Sein eine Notwendigkeit oder nur eine Möglichkeit ist? Die durch reines Nachdenken gefundenen Begriffe wie „Sein“ und „Ding“ gewinnen im weiteren Denkprozess zusammen mit Beobachtungen und Erfahrungen an Bedeutung und beantworten Ibn Sinas Frage. Alle Dinge, die wir mit den Sinnen wahrnehmen können, verändern sich. Mehr noch: Jedes Ding entsteht und vergeht. Demnach ist ihre Existenz, für sich betrachtet, nur möglich.[2] Die Frage nach dem Grund ihres Seins, führt auf den Beweis für die Existenz Gottes zurück. Anhand der Ursachenkette können wir das Konzept erklären. Das Seiende: A ist nur möglich durch eine Ursache. Diese Ursache bezeichnen wir als B. B ist somit für die Existenz für A notwendig, gleichzeitig kann es auch die Begründung für die Nichtexistenz von A sein. Dasselbe kann man auf B übernehmen. Es kann entweder notwendigerweise existieren oder möglicherweise.
Beispiel 1.: A <- B : A= Möglich (mumkin al-wudjud) ; B= Notwendig-Seiende (wadjib al-wudjud)
Beispiel 2.: A <- B <- C => A= Möglich (mumkin al-wudjud); B= Möglich (mumkin al-wudjud); C= Notwendig-Seiende (wadjib al-wudjud)
Man kann dieses Beispiel gedanklich beliebig wiederholen für D, E, F, G…
Die notwendige Existenz
Die Ursachenkette kann nicht endlos fortgeführt werden, denn es muss einen Anfang geben. Dieser Anfang ist die Existenz, die von sich aus existieren muss, das ist das Notwendig-Seiende (wadjib al-wudjud), das alles andere hervorbringt und in der religiösen Sprache „Gott“ genannt wird.
Das Ziel in der Überlegung Ibn Sinas war, die Differenz zwischen Gott und den Geschöpfen in ihrem Sein heraus zu arbeiten und begrifflich schärfer zu unterstreichen.
Die treffende Aussage Mulla Sadras, dass alles im Licht der Existenz wahrgenommen wird, wird mit Hilfe unserer Ursachenkette ein wenig deutlicher. Das Licht wird mit Gott bzw. dem Notwendig-Seienden verglichen. Die Dinge, auf die das Licht fällt, gelangen durch das Licht in unseren Sichtbereich, wir sehen sie und wissen, sie existieren. Ohne das Licht, wüssten wir nichts von ihnen im Dunkeln und folglich, wüssten wir nicht, dass sie existieren. Ähnlich wie Gott die Ursache jeder Existenz ist und somit jede andere mögliche Existenz hervorbringt. Nur durch seine notwendige Existenz kommt jede andere Existenz zustande.
[1] Mulla Sadra, Transzendete Philosophie, Prof.S.M. Chamene’i Seite 59
[2] Ulrich Rudoloh, islamische Philosophie, Seite 46