Bis zum 15. Dezember wurden 18.800 Palästinenser[1] in Gaza von den israelischen Streitkräften (IDF) getötet. Internationales Aufsehen erregte jedoch erst die versehentliche Tötung von israelischen Geiseln in Gaza (Shuja’iyya).
Ein israelischer Soldat bemerkte drei Personen mit freien Oberkörpern, die einen langen Stock mit weißem Stoff hielten. Dies sah der Soldat als Bedrohung und tötete zwei von ihnen sofort. Die dritte Person floh in ein nahegelegenes Gebäude. Ein anderer Soldat folgte ihm und tötete auch ihn, obwohl er mehrmals um Hilfe auf hebräisch schrie. Der Soldat vermutete eine Falle. Schon Tage zuvor hatte man auf dasselbe Gebäude hingewiesen, an dem Flaggen mit der Aufschrift „SOS“ und auf Hebräisch „Hilfe“ angebracht waren. Auch das wurde als potenzielle Falle betrachtet. Laut der Jüdischen Allgemeinen führte erst das offensichtlich europäische Aussehen eines der Getöteten zu einer Untersuchung. [2] Erst dann stellte sich heraus, dass es sich um drei israelische Geiseln handelte, die getötet wurden, obwohl sie eine weiße Fahne hielten und ihren Oberkörper freimachten, um zu demonstrieren, dass sie unbewaffnet sind.
Der Träger des internationalen Schutzsymbols der weißen Fahne hat gemäß Artikel 32 der Haager Landkriegsordnung einen völkerrechtlich geschützten Status, der einzuhalten ist. Die Befürchtung der israelischen Streitkräfte, dass es sich um eine Falle handelte, ist nicht gerechtfertigt. Wurden die israelischen Geiseln einfach nur mit palästinensischen Zivilisten verwechselt? Bereits 2009 veröffentlichte Human Rights Watch einen 62-seitigen Bericht mit dem Titel „White Flag Deaths“[3], der beschreibt, wie Israel im Dezember 2008 und Januar 2009 mindestens 11 palästinensische Zivilisten tötete, darunter 5 Frauen und 4 Kinder, die erkennbar weiße Flaggen hielten.
Zu Recht fragt sich Sari Bashi, Programm-Direktorin von Human Rights Watch:
„Wieso untersuchen die israelischen Behörden die Tötung israelischer Zivilisten, wie sie sollten, aber nicht die Tötung palästinensischer Zivilisten?“ Oder die Tötung der mindesten 27 libanesischer Zivilisten, darunter 3 Journalisten[4] und 3 Kinder[5], im Libanon?
Die Behauptung, dass die Militärschläge zur Rettung von Geiseln oberste Priorität hätten, steht im Widerspruch zur Realität. Seit 73 Tagen wird Gaza beschossen, und abgesehen von mehr als 18.800 getöteten palästinensischen Zivilisten, 51.000 Verletzten, 1,9 Millionen Flüchtlingen und 52.500 vollständig zerstörten Wohngebäuden[6] hat das israelische Militär nichts erreicht.
Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklung hat sich die deutsche Unterstützung für Israels Militarismus bisher nicht verändert. Die fortgesetzten israelischen Angriffe sind ein riskantes Glücksspiel, bei dem rücksichtslose Gewalt gegenüber Zivilisten in Kauf genommen wird. Die deutsche Regierung muss diese Vorfälle kritisch hinterfragen und sich für eine endgültige Waffenruhe einsetzen. Es ist schon längst überfällig, dass Israel sich einer umfassenden Verantwortlichkeit stellt.
[1] https://www.ochaopt.org/content/hostilities-gaza-strip-and-israel-reported-impact-day-70
[2] https://www.juedische-allgemeine.de/israel/idf-erschiessen-versehentlich-drei-geiseln-in-gaza/
[3] https://www.hrw.org/sites/default/files/reports/ioptwf0809webwcover_2.pdf
[4] https://www.hrw.org/news/2023/12/07/israel-strikes-journalists-lebanon-apparently-deliberate
[5] https://www.hrw.org/news/2023/11/14/lebanon-israeli-strike-apparent-war-crime
[6] https://www.unocha.org/publications/report/occupied-palestinian-territory/hostilities-gaza-strip-and-israel-reported-impact-15-december-2023-2359