„Nach dem Mord an der Kindheit machten wir weiter mit dem Mord am Journalismus.“ So oder so ähnlich könnten sich in 20 Jahren die Berichte von Zeitzeugen und Schuldigen lesen, die ihre Vergangenheit bereuen. Bereut werden muss jedoch in Zukunft nichts, was heute verhindert werden kann.

Seit 366 Tagen sehen wir Bilder des Schreckens. Täglich werden Kinder durch abgeworfene Bomben getötet oder schwer verletzt. Viele von ihnen sind nicht älter als 5 Jahre alt. Israel rechtfertigt diesen „Schaden“ mit Selbstverteidigung. Der Westen verteidigt diese Art der Selbstverteidigung. An vorderster Front steht die Bundesrepublik Deutschland.

Kein Name, kein Bericht, kein Bild eines Kindes schafft es in deutsche Medien oder über die Lippen deutscher Politiker. Spricht man Politiker darauf an, haben sie die Bilder nicht gesehen. Vielleicht gibt es ein kurzes, trockenes Wort, das Bedauern vermitteln soll. Doch in Wahrheit werden diese arabischen Kinder ignoriert. Wären es israelische Kinder, wäre es die deutsche Staatsraison, ihnen mit aller Kraft zur Rettung zu eilen. Jedes Kinderleben müsste dann gerettet werden. Doch ein libanesisches Kind oder ein palästinensisches Kind ist gerade mal gut genug, es mit Skepsis auf die Verluststatistik der libanesischen und palästinensischen Autonomiebehörde zu setzen.

Man schrie kurz nach dem 7. Oktober 2023, Hamas-Kämpfer hätten Babies geköpft und sie in heiße Öfen gesteckt.1 Es gibt jedoch keine Bilder, keine Autopsieberichte und keine Augenzeugenberichte, die diese Behauptungen bestätigen. Dass unter anderem mit diesen Behauptungen die extreme Form der bis heute andauernden militärischen Selbstverteidigung gerechtfertigt wurde, stört heute in der deutschen Regierung niemanden mehr. Man rügt den Freund für seine offenkundigen Lügen nicht und entschuldigt sich nicht für die Verbreitung dieser Lügen. Man sitzt am Hebel der Macht und niemand darf das Fehlverhalten des besten Freundes anprangern. Wenn dies geschieht, ist man ein Antisemit.

Von der anderen Seite der Grenze erreichen uns Videos und Bilder von verletzten, toten und zerfetzten Kindern – täglich. Zum Mord an der fünfjährigen Hind Rajab2 gibt es bis heute keine offizielle Untersuchung. Heute Morgen erreicht uns das Video über Nahed Hajjaj. Er ist ein weiterer Junge, dessen Tod wahrscheinlich niemals von einem deutschen Politiker verurteilt wird. Asser und Ayssel Abu al-Qumsam3 wurden an ihrem vierten Lebenstag ermordet. Ihr Vater Mohammed wollte gerade ihre Geburten anmelden und ihre Urkunden abholen, als sie ermordet wurden. Mit ihnen starben in den letzten 366 Tagen mindestens weitere 115 Neugeborene. Die Namen der ermordeten Kinder nimmt kein Ende. Nicht, weil die Liste nach 15.000 Namen zu lang ist, sondern weil der Mord an Kindern auch heute noch weitergeht.4

Doch darüber berichtet der deutsche Journalismus nicht. Ihre Namen werden nicht gelistet. Auch die Namen der Journalisten, die in Gaza und im Libanon getötet wurden, nennt man in Deutschland nicht. Hassan Hamad5, ein 19-jähriger Journalist wurde nach monatelangen Morddrohungen wegen seiner Berichterstattung von Israel getötet. In Deutschland ein weiterer Journalist auf der Verluststatistik. Eine Person weniger, die die Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen des Freundes Deutschlands offenlegt. Wahrer Journalismus wurde mit diesem Krieg im Westen getötet.

Welches Fazit kann heute, ein Jahr nach Beginn des Krieges gezogen werden?

  • Hamas wurde weder zerstört, noch entmachtet – sie sind weiter handlungsfähig
  • Nicht alle israelischen Geiseln wurden gerettet – mehr Geiseln starben durch israelische Bomben als von den Streitkräften gerettet wurden
  • Die größte humanitäre Krise des 21. Jahrhunderts findet in diesen Tagen weiterhin statt
  • Die Kindheit einer ganzen Generation wird zerstört
  • Aufrichtiger und professioneller Journalismus in der westlichen Welt ist gestorben

  1. https://www.lemonde.fr/en/les-decodeurs/article/2024/04/03/40-beheaded-babies-the-itinerary-of-a-rumor-at-the-heart-of-the-information-battle-between-israel-and-hamas_6667274_8.html ↩︎
  2. https://www.theguardian.com/commentisfree/article/2024/aug/18/hind-rajab-israeli-state-atrocity ↩︎
  3. https://www.bbc.com/news/articles/c985y78d0g1o ↩︎
  4. https://interactive.aljazeera.com/aje/2024/israel-war-on-gaza-10000-children-killed/ ↩︎
  5. https://www.youtube.com/channel/UCR0fZh5SBxxMNYdg0VzRFkg/community?lb=UgkxbyagXX4sGadjxZ4jNfGrfdH_C4SvFrfh ↩︎