Eine entscheidende Frage schwebt derzeit über die Ereignisse in Afghanistan. Ist die heutige Taliban dieselbe „Bewegung“, die im Westen häufig als „Terrorgruppe“ bezeichnet wird? Oder unterscheiden sie sich gravierend von den „alten Taliban“?
Es ist derzeit noch zu früh darüber ein Urteil abzugeben. Es gibt jedoch handfeste Indizien, dass sich gegenwärtig in der Führung eine moderate und inklusive Richtung durchgesetzt hat.
Nach dem Einmarsch der US-Armee im Jahr 2001 führten die Taliban den Widerstand gegen die terrorisierenden Besatzungssoldaten an. Auch übten sie Druck auf und die unpopuläre bis verhasste Marionettenregierung an. Sie mussten sich von einer Organisation paschtunischer Kämpfer, in eine multiethnische, nationale Befreiungsbewegung verwandeln. Weg von der Unterstützung von den saudi-arabischen Wahhabiten und dem pakistanischen Geheimdienst ISI.
Der schnelle Sieg nach dem Abzug der ausländischen Besatzungssoldaten und der weitgehend gewaltlos verlaufende Machtwechsel deuten darauf hin, dass ihnen dies gelungen ist. Allein dieser schnelle Zusammenbruch der Marionettenregierung in Kabul zeigt nicht nur, dass diese im Volk über keine Basis verfügte, sondern auch, dass die gegen sie operierenden Taliban den Charakter einer nationalen Befreiungsbewegung annahmen.
Massaker blieben aus
Die im Westen befürchteten Massaker an Minderheiten oder Andersgläubigen sind bisher ausgeblieben. Statt dessen traten die Kämpfer bislang außerordentlich diszipliniert auf. Es gab keine Plünderungen, vielmehr sicherten sie im Verlauf des Machtwechsels öffentliche Gebäude und Museen vor Plünderungen. Auch der Verlauf und die Resultate der Gespräche mit Russland, Iran und China bereits vor der Machtübernahme – und auch die Gespräche mit dem Westen seitdem – nähren die Hoffnung, dass sie sich wesentlich von den „Alten“ unterscheiden.
Bild: Delegation in Moskau