„Palästinensische Frauen und Mädchen werden berichten zufolge willkürlich in Gaza hingerichtet, oft gemeinsam mit ihren Familienmitgliedern, inklusive ihrer Kinder“, berichtet die UN am 19. Februar 2024. Mit diesen Worten beginnt der von den Vereinten Nationen veröffentlichte Artikel zu einem Bericht, dass Frauen und Mädchen von der israelischen Armee sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt werden.1
Hala Khreis wurde am 12. November 2023 während der Evakuierung auf offener Straße kaltblütig erschossen und ist wahrscheinlich nur ein grausames Beispiel dafür, worauf UN-Bericht hinweist.2 Auf dem Video, der den Mord an ihr dokumentiert, ist zu sehen, wie ihr Enkel die weiße Flagge hochhält. Hala, seine Großmutter hält ihn an der anderen Hand und wird nach wenigen weiteren Schritten erschossen.
Die Vereinten Nationen äußern in dem Nachrichtenartikel ihre Besorgnis über die willkürliche Inhaftierung von hunderten Frauen und Mädchen aus Gaza und dem Westjordanland durch das israelische Militär seit dem 7. Oktober. Unter ihnen befinden sich unter anderem Menschenrechtsaktivistinnen, Journalistinnen und medizinische Hilfskräfte. Die Inhaftierten berichten von grausamen Zuständen, erniedrigende Behandlung und davon, dass sie geschlagen wurden, ihnen Menstruationsbinden, Nahrung und medizinische Versorgungen verweigert wurden.
Schockierender sind die Berichte von vielen der Frauen und Mädchen, dass sie während ihrer Haft Opfer von verschiedenen Formen sexueller Belästigung und Gewalt geworden sind. Zwei von ihnen sprechen von Vergewaltigung, andere sprechen davon, dass ihnen mit Vergewaltigung gedroht wurde. Einige israelische Soldaten sollen herabwürdigende Fotos von den inhaftierten und gepeinigten Frauen gemacht haben, die sie anschließen im Internet verbreiteten. Ebenfalls führt der Bericht die Sorge an, dass viele palästinensische Frauen und Mädchen seit Beginn der israelischen Offensive nicht mehr auffindbar sind, nachdem sie von der israelischen Armee mitgenommen wurden.
Gewalt und sexuelle Übergriffe gegenüber palästinensischen Frauen und Mädchen sind keine Seltenheit, ebenso wenig wie die Inhaftierung von Kindern. Wie die UN am 11. Mai 2020 berichtete, befanden sich bis Ende März 2020 knapp 200 Kinder in israelischer Haft.3
Wir fragen uns häufig, wann diese Grausamkeiten in der Welt ein Ende finden. Fragen sollten wir uns ebenfalls, ob die sanften Verurteilungen unserer Regierungen ausreichen, Menschenleben zu retten und sie vor psychischem und physischen Schaden zu bewahren. Wozu haben wir internationales Recht, den internationalen Gerichtshof und hunderte Meetings der Nationen zu der aktuellen schrecklichen Lage, wenn das Ergebnis ihrer Urteile und Meinungen nichts weiter ist als Ignorieren des Aggressors. Diese Urteile sind wertlos, wenn der Aggressor ungehindert und ungestraft seine kriminellen Überfälle fortführen kann, während er die internationale Gemeinschaft und ihre Führung ignoriert und diese nichts tun außer zuschauen.
Der Krieg in Gaza zeigt viele Ungereimtheiten in wichtigen Themen der Weltpolitik auf, allen voran im moralischen Werteverständnis. Viele werfen dem Westen Doppelmoral vor, westliche Länder verurteilen den von muslimischen Ländern erklärten Protest als Terrorismus, zwei Fronten wachsen. Die Gefahr einer globalen Explosion und ein Konflikt über Moral, Recht und Verhältnismäßigkeit droht.
Die Huthi-Miliz soll am 16. Februar wieder von den USA als Terrororganisation eingestuft werden. Möglicherweise folgen europäische Alliierte diesem Urteil. Grund dafür sind die Angriffe der Miliz auf Handelsschiffe. Der Vorwurf an die Huthi-Miliz: „Sie verübe Terrorismus nach Lehrbuchdefinition.“1 Nach eigenen Angaben sind die Angriffe auf die Handelsschiffe ein Protest gegen die Bombardierung der palästinensischen Bevölkerung. Dieser Protest wird jedoch umgehend mit einem Waffenstillstand eingestellt. Die Angriffe auf die Handelsschiffe haben weltweit zu Lieferengpässen gesorgt, unter anderem bei IKEA, ALDI und Tesla.2 Verletzt oder getötet wurde bei diesen Angriffen niemand. Wenn man sich einige Definitionen von Terrorismus ansieht, ist der Angriff auf den globalen Handel ein Akt des Terrors. Jedoch beschreibt die UN ebenfalls „Straftaten, auch gegen Zivilisten, die mit der Absicht begangen werden, den Tod oder eine schwere Körperverletzung herbeizuführen“3 als terroristischen Akt. Mit Blick auf die derzeitige Lage in Gaza sollten das für Aufhorchen sorgen.
In Gaza wurden seit Kriegsbeginn ca. 35.000 Menschen getötet, darunter 13.642 Kinder und 7.656 Frauen, 71.228 Menschen verletzt, 75% von ihnen Kinder. Israel gab an, 12.000 Hamas-Kämpfer seit Kriegsbeginn getötet und eine große Anzahl von ihnen verwundet zu haben.4 Diese Zahlen würden aufgehen, wenn jeder getötete Mann ein Kämpfer der Hamas war. Eine Behauptung, die schwer zu stützen ist bei den Bildern, Videos und Zahlen, die täglich durch die Medien gehen.
Umfragen im Jemen haben ergeben, dass sich alle fast Jemeniten mit den Palästinensern solidarisieren,5 wahrscheinlich weil auch sie die Situation von Krieg, Leid und Hunger aus eigener Hand kennen. Viele von ihnen möchten helfen und rufen die internationale Gemeinschaft und ihre Führer auf, für Gerechtigkeit und Frieden in Gaza zu sorgen. Die Fragen sind jedoch: Welche Mittel können und dürfen genutzt werden, um für Frieden zu sorgen, wenn Diplomatie nicht hilft? Wer definiert Verhältnismäßigkeit, Menschenrechte und welches Maß an Opfern in Konflikten gerechtfertigt ist?
Ein Druckmittel, das von den USA und seinen Verbündeten zum Beispiel gegen Russland und den Iran eingesetzt wird, um diese Staaten von ihrem derzeitigen Kurs abzubringen, sind wirtschaftliche Sanktionen. Ob diese zum gewünschten Erfolg führen, ist ein großes Fragezeichen. Die Houthi-Miliz kann wegen wirtschaftlicher Schwäche international jedoch keinen Druck auf diesem Weg ausüben. Welchen Sanktionen wollen sie gegen wen verhängen, um Staaten dazu zu bewegen, sich aktiv in diesem Krieg für Frieden und Schutz der Zivilbevölkerung einzusetzen.
Ebenfalls ein genutztes Mittel der USA sind Angriffskriege (Korea, Vietnam, Afghanistan und Irak) und militärische Coups (Argentinien, Chile, Panama und Venezuela)6. Hierbei ist die CIA oft ein wichtiger Initiator und Akteur hinter den Kulissen. In einem Interview sagte der ehemalige CIA-Direktor Mike Pompeo im April 2019: „Ich war der CIA-Direktor, wir haben gelogen, wir haben betrogen, wir haben gestohlen. Das heißt, wir hatten ganze Schulungen dazu.“7 Sind die USA nach einer solchen Aussage von einem ehemaligen führenden Mitglied der US-Regierung objektiv betrachtet in der Position, andere des möglichen Terrorismus zu verurteilen? Moralisch betrachtet sind sie es nach Meinung einiger Menschen wahrscheinlich nicht, wirtschaftlich, weltpolitisch, medial und den internationalen Machtverhältnissen nach zu urteilen sitzen die USA jedoch in jeder Situation am längeren Hebel. Sie können anderen Nationen diesen Vorwurf machen und unter diesem Vorwurf kriegerische Angriffe starten, sei es im Irak wegen des Vorwurfs von Massenvernichtungswaffen oder im Jemen wegen internationalem Terrorismus gegen die Weltwirtschaft. Welche Mittel bleiben den Schwachen dieser Welt, um gegen Unrecht und möglichen Terror großer Staaten zu handeln? Getötet wurden bei diesem Parallelkonflikt jedenfalls bisher nur Jemeniten – Soldaten, aber vor allem auch wieder Zivilisten.
Vor knapp zwei Wochen berichtete ein palästinensischer Journalist darüber, dass die Route zur Evakuierung der Kriegszone in Khan Younis zu einem Todesmarsch wurde. Die meisten Menschen legten die 20 Kilometer in Richtung Rafah zu Fuß zurück, nachdem sie Tage und Nächte des Bombenhagels hinter sich hatten.1 Einige Menschen starben auf der Route vor Erschöpfung. Die Einzelschicksale dieses Krieges nehmen täglich zu. Für die westliche Politik und deutsche Medien scheint jedoch jeder Name eines Opfers nicht weiter als eine weitere Zahl auf der Statistik zu sein, die sie später in die Geschichtsbücher schreiben werden.
Dennoch, jede Familie erzählt ihre eigene tragische Geschichte von Tod und Vertreibung. So auch die Familie der 6-jährigen Hind Rajab. Vor zwei Wochen ging beim roten Halbmond ein Notruf ein, bei dem die 6-jährige Hind und ihre 15-jährige Cousine Layan um Rettung flehten. Hind war mit der siebenköpfigen Familie ihres Onkels auf der Flucht aus Gaza City, wobei die Familie unter Panzerbeschuss kam. Das Familienauto war, wie Angehörige hinterher berichten, von Kugeln durchsiebt. Die Chance zu überleben beim Notruf denkbar klein. Heute wissen wir, dass es keine Überlebenschance gab. Kurz nach Eingang des Notrufs erliegt ihre Cousine ihren Schussverletzungen. Die Schüsse auf das Auto sind in der Audioaufnahme des Anrufs zu hören, so auch die letzten Schreie der Mädchen.2
Kurz danach ist nur noch Hind am Leben. Drei Stunden kommunizieren Mitarbeiter des roten Halbmondes mit ihr. Unter ihnen auch Traumapsychologen. Hind liegt während des Gesprächs zwischen den toten Körpern ihrer Familie und fleht furchterfüllt und verletzt um Rettung: „Kommt und holt mich hier raus. Schickt ihr jemanden, der mich holen kommt? Ich habe Angst.“3 Ein Rettungsteam von zwei Mitarbeitern des roten Halbmondes machte sich auf die Suche nach der Überlebenden, jedoch brach nach kurzer Zeit der Kontakt zu ihr und zu dem Rettungsteam ab.
Nun ist bekannt, dass auch Hind und die beiden Mitarbeiter des Rettungsdienstes, Yusuf Zeino und Ahmed Al-Madhoun, in jener Nacht von der israelischen Armee getötet wurden. Der Rettungswagen wurde komplett ausgebrannt in Gaza City gefunden.4 Auf Anfrage des roten Halbmondes bei der israelischen Armee kam die ernüchternde Rückmeldung, dass kein solcher Fall bekannt sei.
Eine weitere Mutter, die nun den toten Körper ihrer 6-jährigen Tochter beerdigen muss, in einem Krieg, in dem die Zivilisten keinen Schutzort mehr finden, denn nun plant Israel auch Rafah teil der Bodenoffensive werden zu lassen. 1,4 Millionen Menschen sind nun in Rafah in Gefahr. Der rote Halbmond rief dazu auf, dass sie die Hilfe der internationalen Gemeinschaft brauchen, um die palästinensische Bevölkerung und die Mitarbeiter der Rettungsdienste zu schützen.
In den deutschen Medien findet man kaum Berichte über diesen tragischen Fall. Ein weiteres Beispiel dafür, wie einseitig die Berichterstattung der deutschen Medien in diesem tragischen Konflikt ist.
Der Guardian berichtete diese Woche von Mitarbeitern des amerikanischen Nachrichtensenders CNN, die ihrem Sender verzerrte Berichterstattung in dem seit dem 7. Oktober andauernden Israel-Gaza Krieg vorwerfen.
Die Mitarbeiter gewährten bei ihren Interviews mit dem Guardian tiefe Einblicke in interne Memos und E-Mails. Darin sind die Mitarbeiter angewiesen, Informationen und Berichte der palästinensischen Seite genaustens zu prüfen, während Berichte Israels ungeprüft für bare Münze genommen werden. Dieser Fakt ist besonders erschreckend, da, so der Guardian, Israels Militär eine Geschichte von Falschaussagen und übertriebenen Behauptungen nachgewiesen werden kann, die später als komplett oder teils unwahr belegt wurden.
Ein Beispiel dafür ist die von israelischen Militärs ausgehende Behauptung, dass Hamas-Kämpfer am 7. Oktober vierzig Kinder geköpft hätten. Diese Aussage wurde scheinbar ungeprüft übernommen und ebenfalls über den Sender verbreitet. So behandelte die Nachrichtensprecherin Sara Sidner dieses Thema in ihrer Sendung und stellte die ungeprüften Aussagen als bewiesene Fakten dar. Sie verwies in ihrem Bericht auf ihre Kollegin und Jerusalem-Korrespondentin Hadas Gold, die die vom Büro des israelischen Premierministers bestätigten Berichte mit emotionalen Aussagen dramatisierte. „Wie kann die Hamas diese Ereignisse verneinen, wenn wir buchstäblich Videos von diesen Kerlen, von diesen Militanten, von diesen Terroristen haben, die genau das tun, was sie angeblich nicht mit Zivilisten und Kindern tun.“. Auch der amerikanische Präsident Joe Biden sagte, dass er Bilder von geköpften Babys gesehen habe. Diese Aussage wurde kurz später zurückgenommen. Bis heute hat niemand Bilder oder Videos gesehen, die diese Aussagen stützen. Der entstandene Schaden am Ruf der Palästinenser bleibt jedoch in den Köpfen der Menschen bestehen.
Im Bericht des Guardian geht ebenfalls hervor, dass die CNN bei ihrer Berichterstattung über den Nahost-Krieg scheinbar nicht unabhängig über die Veröffentlichung ihrer Berichte entscheiden darf. Jeder Bericht muss vor Veröffentlichung von dem Jerusalemer Büro genehmigt werden. „Viele haben darauf gedrängt, dass mehr Inhalte aus Gaza alarmiert und ausgestrahlt werden. Bis diese Berichte durch Jerusalem gehen und es ins Fernsehen oder auf die Homepage schaffen, sorgen entscheidende Veränderungen – von der Einführung einer ungenauen Sprache bis hin zur Unkenntnis entscheidender Geschichten – dafür, dass fast jeder Bericht, egal wie vernichtend er auch sein mag, Israel von Fehlverhalten entlastet“ berichtet ein Mitarbeiter. Für viele Redakteure stößt diese Form des Journalismus auf Heuchelei und Unmut. „Es gibt viele interne Konflikte und Meinungsverschiedenheiten (zur Berichterstattung des Konflikts). Einige (Mitarbeiter) wollen raus“, so einige CNN-Redakteure im Interview.
In einem Memo des Editor-in-Chief der CNN, Mark Thompson, bekamen die Redakteure folgende Anweisung „von Mark“, dass sie doch besonders den Paragraphen „Leitlinie zur Berichterstattung“ berücksichtigen sollen. Darin wird darauf hingewiesen, dass über die Angriffe des israelischen Militärs und die Konsequenzen auf menschlicher Ebene berichtet werden soll. Ebenfalls wird in dem Memo kursiv hervorgehoben „Wir müssen unsere Leser stets an die unmittelbare Ursache dieses aktuellen Konflikts erinnern, nämlich den Angriff der Hamas, sowie den Massenmord und die Entführung von Zivilisten.“ Ein Paragraph, der inhaltlich ebenfalls in allen Berichten sämtlicher deutscher Nachrichtenseiten über den Israel-Gaza Krieg berücksichtigt wird und scheinbar niemals fehlen darf. Dass der Konflikt nicht am 7. Oktober 2024 begonnen hat und dass die palästinensische Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland über die letzten Jahrzehnte hinweg täglich mit Einschränkungen, Bedrohungen und Entrechtung von Seiten des israelischen Militärs oder israelischer Siedler wird maximal nebensächlich in diesem Zusammenhang erwähnt.
Der Druck im Westen wächst, die Gegebenheiten des Krieges, das Leid des palästinensischen Volkes in Gaza und im Westjordanland neutral darzustellen und auch Verbündete bei verbrochenem Unrecht nicht nur sanft zu kritisieren, sondern notfalls auch zur Rechenschaft zu ziehen. Das wäre im Sinne der Philosophie: Nie wieder!
Bis zum 15. Dezember wurden 18.800 Palästinenser[1] in Gaza von den israelischen Streitkräften (IDF) getötet. Internationales Aufsehen erregte jedoch erst die versehentliche Tötung von israelischen Geiseln in Gaza (Shuja’iyya).
Ein israelischer Soldat bemerkte drei Personen mit freien Oberkörpern, die einen langen Stock mit weißem Stoff hielten. Dies sah der Soldat als Bedrohung und tötete zwei von ihnen sofort. Die dritte Person floh in ein nahegelegenes Gebäude. Ein anderer Soldat folgte ihm und tötete auch ihn, obwohl er mehrmals um Hilfe auf hebräisch schrie. Der Soldat vermutete eine Falle. Schon Tage zuvor hatte man auf dasselbe Gebäude hingewiesen, an dem Flaggen mit der Aufschrift „SOS“ und auf Hebräisch „Hilfe“ angebracht waren. Auch das wurde als potenzielle Falle betrachtet. Laut der Jüdischen Allgemeinen führte erst das offensichtlich europäische Aussehen eines der Getöteten zu einer Untersuchung. [2] Erst dann stellte sich heraus, dass es sich um drei israelische Geiseln handelte, die getötet wurden, obwohl sie eine weiße Fahne hielten und ihren Oberkörper freimachten, um zu demonstrieren, dass sie unbewaffnet sind.
Der Träger des internationalen Schutzsymbols der weißen Fahne hat gemäß Artikel 32 der Haager Landkriegsordnung einen völkerrechtlich geschützten Status, der einzuhalten ist. Die Befürchtung der israelischen Streitkräfte, dass es sich um eine Falle handelte, ist nicht gerechtfertigt. Wurden die israelischen Geiseln einfach nur mit palästinensischen Zivilisten verwechselt? Bereits 2009 veröffentlichte Human Rights Watch einen 62-seitigen Bericht mit dem Titel „White Flag Deaths“[3], der beschreibt, wie Israel im Dezember 2008 und Januar 2009 mindestens 11 palästinensische Zivilisten tötete, darunter 5 Frauen und 4 Kinder, die erkennbar weiße Flaggen hielten.
Zu Recht fragt sich Sari Bashi, Programm-Direktorin von Human Rights Watch:
„Wieso untersuchen die israelischen Behörden die Tötung israelischer Zivilisten, wie sie sollten, aber nicht die Tötung palästinensischer Zivilisten?“ Oder die Tötung der mindesten 27 libanesischer Zivilisten, darunter 3 Journalisten[4] und 3 Kinder[5], im Libanon?
Die Behauptung, dass die Militärschläge zur Rettung von Geiseln oberste Priorität hätten, steht im Widerspruch zur Realität. Seit 73 Tagen wird Gaza beschossen, und abgesehen von mehr als 18.800 getöteten palästinensischen Zivilisten, 51.000 Verletzten, 1,9 Millionen Flüchtlingen und 52.500 vollständig zerstörten Wohngebäuden[6] hat das israelische Militär nichts erreicht.
Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklung hat sich die deutsche Unterstützung für Israels Militarismus bisher nicht verändert. Die fortgesetzten israelischen Angriffe sind ein riskantes Glücksspiel, bei dem rücksichtslose Gewalt gegenüber Zivilisten in Kauf genommen wird. Die deutsche Regierung muss diese Vorfälle kritisch hinterfragen und sich für eine endgültige Waffenruhe einsetzen. Es ist schon längst überfällig, dass Israel sich einer umfassenden Verantwortlichkeit stellt.
Seit wenigen Tagen ist die Feuerpause beendet, um die sich Katar und Ägypten durch Verhandlungen bemüht hatten. Bei einer UN-Resolution, bei der zu eine „sofortige, dauerhafte und anhaltende humanitäre Waffenruhe“ sowie den „ununterbrochenen, ausreichenden und ungehinderten“ Zugang von lebensrettenden Gütern und Dienstleistungen für die Zivilisten, die in der Enklave eingeschlossen sind, gerufen wurde,[1] stimmten 14 Länder gegen eine Feuerpause, unter anderem Österreich, Tschechien, Ungarn und Kroatien. 44 Länder enthielten sich, unter anderem Deutschland, Ukraine und Polen. Für eine sofortige Feuerpause stimmten 121 Länder, unter anderem die Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg.[2] Die Abstimmung fand am 27. Oktober 2023 statt und war eine formelle Reaktion der Vereinten Nationen auf die Eskalation der Gewalt seit dem 7. Oktober.
An jenem Tag erklärte die Hamas Israel den Krieg und feuerte mindestens 3000 Raketen vom Gazastreifen aus ab.[3] Sie drangen auch in die israelischen Siedlungen ein und nahmen Geiseln. Ein Anführer der Hamas, Mohammed Deif, sagte, der Angriff sei eine Reaktion auf die 16-jährige Blockade des Gazastreifens, die israelischen Militäroperationen im Westjordanland im letzten Jahr und die eskalierende Gewalt in Al Aqsa durch die israelischen Soldaten und Siedler.[4] Die Israelische Armee reagierte, wenn auch etwas zeitversetzt, mit massiven Luftangriffen auf Gaza, die zahlreiche zivile Opfer forderten und die Infrastruktur zerstörten. Die Gewalt breitete sich auch auf das Westjordanland, Ostjerusalem und die nordisraelisch-südlibanesische Grenze aus. Laut der UN sind über 1,82 Millionen Menschen innerhalb des Gazastreifens auf der Flucht.
Laut dem Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) liegt die Zahl der getöteten Palästinenser mittlerweile weit über 15.000, von denen 70% Frauen und Kinder sind und über 40.000 Verletzte.[5] Die Erfassung der Zahl der getöteten Palästinenser erweist sich als herausfordern, wenn man sich auf die deutschen Medien bezieht. Es herrscht entweder eine kontroverse Debatte darüber, wie glaubwürdig die Zahlen sind, oder es wird sehr verhöhnend von einer „hohen Zahl an Toten und Verletzten“ gesprochen. Die Würdigung der Kriegsopfer ist ein wesentlicher Aspekt der Menschenrechtspraxis, die die Grundlage des deutschen Grundgesetzt darstellt. Die Würdigung der Menschenrechte manifestiert sich auch in der Angabe der Anzahl der Opfer. Gemäß dem internationalen Völkerrecht sind die Identifizierung und Registrierung von Toten sogar vorgeschrieben.
Ferner ist eine derartige Situation ein Hindernis für eine objektive und ausgewogene Berichterstattung über den Krieg und ein Beweis für ein gänzlich fehlendes palästinensisches Narrativ. Wiederum ist das Schweigen über die palästinensische Geschichte, Identität und Rechte eine Form der Unterdrückung, Diskriminierung und Kriminalisierung der Palästinenser und verletzt die grundlegenden Prinzipien des Journalismus, weil sie nur eine einseitige Berichterstattung ermöglicht.
Auch die Struktur der Berichterstattung unterscheidet sich, wenn über den Krieg gesprochen wird. Das zeigt sich deutlich an einem der neuesten Artikel des Auswärtigen Amts, dass Reiseinformationen beinhaltet. Am 30. November 2023 heißt es bereits in der Überschrift, dass „mehr als 1.200 Menschen getötet“[8] wurden, wobei sich die Zahl auf die israelischen Opfer bezieht und seit dem 7. Oktober unverändert ist. Im nächsten Absatz wird diese Zahl wiederholt und zusätzlich die 200 Geiseln erwähnt, die von der Hamas festgehalten werden. Erst im letzten Absatz des Artikels findet sich eine knappe Erwähnung der palästinensischen Seite, die besagt, dass „die humanitäre Lage in Gaza katastrophal ist. Es gibt tausende Tote und Verletzte.“[9] Dabei wird keine präzise Zahl genannt und auch nicht klar gemacht, dass diese Menschen durch israelische Angriffe getötet wurden, sondern lediglich, dass sie tot sind. Bei einer allgemeinen Suche auf der Seite der Bundesregierung nach der Zahl 1200 werden 56 Ergebnisse angezeigt und lediglich die israelischen Opfer betreffen. Hingegen gibt es keine ansatzweisen Schätzungen zu den palästinensischen Opferzahlen, die nach Angaben der Vereinten Nationen schon mehr als 10.000 betragen.
Journalisten, die sich um eine palästinensische Perspektive bemühen, werden bedroht oder getötet. Das Komitee zum Schutz von Journalisten zählt für diesen Krieg bereit 61 getötete Journalisten durch Israel, davon sind 54 palästinensischer, 4 israelischer und 3 libanesischer Herkunft. Laut dem Komitee handelt es sich um den tödlichsten Monat für Journalisten, der jemals aufgezeichnet wurde. Hinzu kommen 19 Verhaftungen von Journalisten.[6] Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen ruft den Internationalen Strafgerichtshof auf, wegen Kriegsverbrechen zu ermitteln und hat bereits Strafanzeige erstattet.[7]
Es ist ferner laut deutscher Medien nicht erlaubt und „antisemitisch“[10], den anhaltenden Krieg gegen Gaza als genozidal zu beschreiben, obwohl die UN vor einem möglichen Völkermord durch Israels Handlungen im Gazastreifen warnt. Sie beziehen sich unter anderem auf die öffentlichen Aufrufe zur Vernichtung der Palästinenser, absichtliche Aushungerung und die Zerstörung lebensnotwendiger Infrastruktur in Gaza. Dabei fordern 19 UN-Sonderberichterstatter um sofortiges Eingreifen.[11]
Ein schwerwiegendes Kriegsverbrechen, das Israel begangen hat, ist die Zerstörung von medizinischen Einrichtungen, die einen klaren Verstoß gegen die Genfer Konventionen darstellt. Diese Konventionen schützen die Zivilbevölkerung und das medizinische Personal in Kriegszeiten und verbieten Angriffe auf Krankenhäuser, Ambulanzen und andere Gesundheitsdienste. Ein Beispiel dafür ist das Bombardement des al-Ahli Krankenhauses in Gaza am 17. Oktober. Dieses Ereignis erregte internationale Aufmerksamkeit, weil es zunächst unklar war, wer dafür verantwortlich war. Über die restlichen Zerstörungen von medizinischen Einrichtungen in Gaza gab es jedoch kaum mediale Aufmerksamkeit, obwohl die humanitäre Situation dort katastrophal ist. In einem neuesten Artikel von „The Guardian“ werden mehr als 200 Beweise, darunter Videos, Fotos, Nachrichtenaufnahmen und Satellitenbilder vom 21. Oktober bis zum 11. November analysiert und aufgezeigt, die verursachte Schäden durch die Israelische Armee an 10 Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen untersuchen. [12]
Die deutschen Medien zeigen sich realitätsfremd, als ob sie keinen Zugang zu internationalen Nachrichtenquellen hätten. In einem Artikel über den UN-Vorwurf, dass Israel Kriegsverbrechen begehe, heißt es: „Wenn sich ein Staat wehre, gebe es zwar völkerrechtliche Spielregeln, diese Spielregeln halte Israel aber absolut ein, was auch führende deutsche Völkerrechtler bestätigt hätten.“[13] Diese Aussage ignoriert jedoch die zahlreichen Beweise und Berichte, die das Gegenteil nahelegen, die unter anderem oben genannt wurden.
Eine differenziertere Debatte findet in Großbritannien statt, wo die Medienberichterstattung über den Israel-Palästina-Konflikt kritischer und ausgewogener ist. Eine Studie des Muslim Council of Britain’s Centre for Media Monitoring (CfMM) kritisierte gewisse Wörter im Zusammenhang mit einer gleichmäßigen Berichterstattung wie z.B. die Verwendung von Begriffen wie „Räumung“ oder „Eigentumsstreit“, um die illegalen Siedlungspläne in Sheikh Jarrah (Ostjerusalem) zu beschreiben, sowie die Verwendung von Begriffen wie „Zusammenstöße“ und „Konflikt“, um die Gewalt in der Al-Aqsa-Moschee zu beschreiben.[14]
Um die Sichtbarkeit der palästinensischen Narrativen zu erhöhen, gibt es mehrere Ansätze. Ein möglicher Ansatz ist die Unterstützung und der Schutz der palästinensischen Journalisten und Medienunternehmen, die von den israelischen Behörden und Siedlern Zensur und Gewalt ausgesetzt sind. Diese Journalisten und Medien bieten eine alternative und authentische Informationsquelle zur Lage und den Perspektiven der Palästinenser. Ein weiterer Ansatz ist die Erleichterung des Zugangs und des Austauschs von palästinensischen Journalisten und Medien mit westlichen Journalisten und Medien, die sich häufig auf israelische Quellen und Erzählungen stützen. Diese Journalisten und Medienunternehmen würden von der Zusammenarbeit und der Vielfalt der palästinensischen Journalisten und Medienunternehmen profitieren und eine umfassendere und differenziertere Berichterstattung über den Krieg bieten.
Für Deutschland ist es wichtig, den Nahostkonflikt und seine Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu verstehen. Die Sichtweise ist immer auch – bewusst oder unbewusst – geprägt von den etablierten Diskursen und historischen Großnarrativen über die Zeit des Nationalsozialismus. Diese beeinflussen sich zum Konflikt im Nahen Osten äußern zu können oder zu dürfen. Oftmals dominiert hier eine moralische Haltung, die sich nicht aus einer differenzierten Sachkenntnis, sondern aus einem unhinterfragten Wertekanon ergibt. Diese Moral ist jedoch oberflächlich und leer. Vielleicht hilft der Blick auf die zwei Narrative aus Israel und Palästina, um auch in Deutschland weniger moralisierend und mit mehr Sachkenntnis das eigene Großnarrativ weiterzuentwickeln.
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