„Christlich-jüdisches Abendland“ liest und hört man häufig in den Medien und in der Politik.
Seit den propalästinensischen Demonstrationen Mitte April, die sich u.a. gegen Angriffe israelischer „Sicherheitskräfte“ auf die Al-Aqsa-Moschee in Quds richteten, benutzt man mal wieder die Antisemitismus-Keule, um zukünftige Demos gegen die Nakba zu verbieten, obwohl inzwischen einige Zeitungen (wie das ND) berichteten, dass die angeblichen antisemitischen Parolen nur falsche Übersetzungen sind. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Natterer twitterte, dass sich der »importierte Antisemitismus« durch »eine rigide Migrationspolitik wie in Australien oder Dänemark zumindest eindämmen« ließe, womit er Muslimen wieder einmal Antisemitismus unterstellte. Es gelte die „jüdisch-christliche Tradition“ des Abendlandes zu verteidigen. Dies wird gewöhnlich im Sinne der angeblichen Verteidigung der freiheitlichen Werte, zu denen inzwischen auch die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen und das Recht auf Geschlechtsoperationen für Jugendliche gezählt wird, verstanden.
Der Begriff des „jüdisch-christlichen Abendlandes“ ist eine Formulierung – nicht nur in diesem Zusammenhang – um Muslime auszugrenzen. Die konstruierte kulturelle christlich–jüdische Einheit dient vor allem dazu, alles Muslimische als „fremd“ zurückzuweisen. Behauptet wird, dass nur Judentum und Christentum das heutige Europa maßgeblich geprägt hätten, der Islam dagegen nicht. In der Realität verhält es sich aber so, dass alle drei monotheistischen Religionen Kunst und Kultur, Philosophie und Geschichte Europas beeinflussten. Genau genommen kann es gar kein “christlich-jüdisches Abendland” geben, da alle drei Weltreligionen ihren Ursprung im Morgenland haben.
Judentum in Europa
Der Historiker Wolfgang Benz hatte in einem Gespräch mit der DPA Begriffe wie „Islamkritik“ und das „christlich-jüdische Abendland“ als Hetze gegen Muslime bezeichnet. „Das sogenannte christlich-jüdische Abendland sei ein „völlig irriger Begriff““, so der frühere Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung. Er sei nur erfunden worden, um sich von Muslimen abzugrenzen. Aus historischer Sicht sei es „ein Hohn und eine Unverschämtheit, wenn man heute so tut, als sei da etwas Gemeinsames gewesen“. Schließlich habe sich das christliche Abendland 2000 Jahre lang bemüht, es den Juden so unangenehm zu machen. „Solche Begriffe, die schleichen sich blitzschnell ein. Der eine Politiker plappert sie dem anderen nach“, kritisierte Benz.
In der Tat wurden Juden in den vergangenen Jahrhunderten nie als Teil Europas angesehen, ganz im Gegenteil. Immer wieder kam es in Europa zu Verfolgungen, Pogromen und Massenmorden an Juden. Es mutet daher sehr merkwürdig an, heute von einem “jüdisch-christlichen Abendland” zu sprechen, wo man doch in der Vergangenheit stets bemüht war, das Judentum in Europa auszumerzen.