Dana Bakr ist 11 Jahre alt und hat den Vorlesewettbewerb in Bonn gewonnen. Hätte sie die Kommentare zu ihrem Sieg bei der Siegerehrung vorlesen können, wäre das ein trauriger aber denkwürdiger Realitätscheck für unsere Politiker. Die Worte ihres Vaters treffen ins Schwarze: „Egal, wie lange man hier lebt. Man wird immer ein Außenseiter bleiben.“1
Das Gefühl, immer ein Ausländer zu sein, niemals vollwertig akzeptiert zu werden, teilen viele in Deutschland lebende Mitbürger mit Migrationshintergrund. Vor allem praktizierende Muslime müssen fast täglich diese Erfahrung machen. Die Kommentare von Danas Schwestern „Wir kennen solche Reaktionen aus der Schule“ und „Wir haben uns daran gewöhnt und reagieren gar nicht mehr“ zeigen die traurige Realität, mit der junge muslimische Mädchen und Jungen zu kämpfen haben.
Es ist einfach, in Situationen wie diesen den Ball der Schuld in eine Richtung zu schieben. Sicher lässt sich aber eines sagen: So lange die Medien ein rechtes und islamfeindliches Narrativ in die Bevölkerung tragen, ist es nicht möglich, dass die unsere Gesellschaft mit ihren verschiedenen Kulturen und Religionen zusammenwächst. Während in England und Neuseeland Polizeiuniformen mit Hijab für die Muslima oder Turban für den Sikh als selbstverständlich gelten, wird in Deutschland versucht, jegliche Form des religiösen Lebens aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Man ist und bleibt ein Außenseiter, ein Ausländer, egal ob man in der dritten oder vierten Generation in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Wenn Tolerant für jede Form der Vielfalt gefordert und erlaubt werden soll, dann muss auch ein Platz für Religion gegeben sein und somit auch für den Islam.
Muslime, die kompetente Kollegen sind und dieses Land und sein Volk mit ihrer Kraft, Motivation und Kreativität bereichern, gibt es zahlreiche in sämtlichen akademischen und handwerklichen Bereichen der Arbeitswelt. Die Abneigung vor allem gegenüber praktizierenden Muslimen basiert in den überwiegenden Fällen nicht auf persönlicher Erfahrung, sondern auf stupiden und veralteten stereotypischen Vorurteilen, die durch die Medien in die Gesellschaft getragen und befeuert werden.
Der Spielball liegt hier eindeutig bei unseren Politikern. Es hilft wenig, nur Probleme anzusprechen, wenn nicht fundamental und ernsthaft an ihnen gearbeitet wird. Sie müssen die Medien anleiten, nicht mehr für jeden negativen Beitrag über muslimische Kriminelle eine Frau mit Kopftuch als Leitbild einzusetzen. Sie müssen sich deutlich dagegen aussprechen, dass der Islam in den Nachrichten ausschließlich mit Terror oder Gewaltverbrechen in Verbindung gebracht wird. Ebenfalls muss allen verständigen Mitbürgern bewusst sein: 6 Millionen Muslime werden nicht einfach Deutschland verlassen und die praktizierenden unter ihnen werden nicht einfach ihre religiösen Überzeugungen über Bord werfen.
Die Welt ist globalisiert und Deutschland gehört dazu. Wir wollen mit „Made in Germany“ weiterhin überzeugen? Das passiert durch Qualität in der (Zusammen-)Arbeit, nicht durch polemische Hasskommentare in der Kommentarbox der Nachrichten.
Die Geburtenrate in Deutschland sinkt, die Zukunft des Landes steht damit auf dem Spiel, denn die Sorge heißt: „Wer soll in Zukunft unsere Steuern und Renten zahlen?“. Dass die Zukunft des Wohlstands an die Arbeitergeneration von morgen gekoppelt ist, ist selbsterklärend. Sollte dieser Faktor jedoch unsere Motivation sein, Familien zu gründen? Kinder kriegen könnte so auch schnell zu einem Geschäft werden. Eltern sein wird damit jedoch unattraktiver.
Wir leben in einer Gesellschaft, die fast ausschließlich auf die individuelle Entwicklung ausgerichtet ist. Ob eine Person oder ein Paar sich dafür oder dagegen entscheidet, in Zukunft Kinder zu bekommen, ist tatsächlich eine Entscheidung, die jeder selbst treffen muss. Diese Entscheidung wird jedoch von vielen Faktoren und Fragen beeinflusst. Was ist mit meiner Karriere? Möchte ich mich so lange binden? Wie entwickelt sich die Klimaproblematik? Wie sieht es mit der Weltsicherheit aus? Finden wir eine Wohnung, die groß genug ist?
Es sind also nicht nur individuelle Faktoren, die eine Rolle spielen, sondern auch politische. Der Wohnungsmarkt ist im Moment für Familien absolut nicht ansprechend, eher abweisend. Im eigenen Karriereweg muss man unter anderem harte Kompromisse eingehen oder ganz umstellen. Viele dieser Faktoren betreffen vor allem junge Frauen. Und hierbei wird ein großer Faktor häufig übersehen. Auf die Mutter, die ihre Zeit der Erziehung widmet, wird herabgeblickt, als hätte sie einen minderwertigen Weg im Leben eingeschlagen oder als hätte sie es nicht zu mehr bringen können. Das Ziel, Menschen zu erziehen, die der Zukunft mehr als nur kompetente und wettbewerbsfähige Arbeitskräfte bieten, ist nichts Erstrebenswertes. Es zeigt keinen persönlichen Erfolg, denn er spiegelt sich nicht auf dem Konto, im Lebensstandard oder in der Lebensfreiheit wider.
Dreht sich in unserem Leben nur noch um das Finanzielle, Konsum und Ansehen durch Berufserfolg? Dieses Denk- und Verhaltensmuster wird auch in unsere Familienphilosophie getragen und das ist fatal. Gepaart mit der Tatsache, dass sich heranwachsende Generationen trotz bester Vorbereitung und Voraussetzungen weniger bereit fühlen, selbstständig Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, sieht die Zukunft für die Familiengründung nicht rosig aus.
Der Wert einer Familie hat innerhalb der letzten 30 Jahre in den Augen der Gesellschaft abgenommen. Heute wird in der Politik darüber diskutiert, wer denn die Steuern und die Renten in Zukunft zahlen soll, wenn es heute keine Kinder mehr gibt. Diese Frage ist aus politischer Sicht berechtigt, jedoch zeigt sie, welch ein falsches Denken wir über unsere wichtigste gesellschaftliche Institution haben. Wird unsere Familie heute als reines finanzielles Konstrukt betrachtet, das auf sein Einnahmepotential reduziert wird? Dieser Druck von Seiten der Politik wird sich nicht zu einem Umdenken innerhalb der Gesellschaft führen.
Die Frage sollte an erster Stelle lauten: Was bedeutet Familie? Familie bedeutet Liebe, Wärme, Vertrauen und Rückhalt. Familie bedeutet Leben in der Zukunft. Gemeinsam eine Familie zu gründen braucht Mut, Verantwortungsbewusstsein, Stärke, Durchhaltevermögen und ein Bewusstsein für die Zukunft. Das sind Qualitäten, mit denen Helden beschrieben werden. Doch wer möchte heute schon ein Held sein, wenn es einfacher ist, die eigene Welt zu regieren?
Knapp 2 Milliarden Menschen versammeln sich und feiern. Der Monat Ramadan hat begonnen und Muslime weltweit fasten in dieser für sie heiligen Zeit. Doch der Monat bringt weit mehr mit sich, als nur der Verzicht auf Nahrung und Getränke von morgens bis abends. Der Aufruf zum Fasten umfasst auch das eigene Verhalten, innerhalb der Gesellschaft und sich selbst gegenüber.
Mit der Morgendämmerung beginnen Muslime täglich im Monat Ramadan ihr Fasten, am Abend nach Sonnenuntergang brechen sie es. Entgegen der weitverbreiteten Annahme, dass nun jeden Abend ein Festmahl aufgetischt wird, spricht der Islam von einfacher und ausgewogener Ernährung zum Iftar, dem täglichen Fastenbrechen. Die Muslime tischen generell großzügig auf, wenn Gäste erwartet werden und diese erwarten sie in diesem Monat fast täglich. In den meisten Häusern wird jedoch einfach gegessen, wenn zum Iftar nur die Familie zusammenkommt.
Der erste Tag ist der schwierigste, danach gewöhnt sich der Körper an die Umstellung der Essgewohnheit. Doch das ist nicht die einzige Umstellung, der die Muslime in diesem Monat nachgehen. Der Monat Ramadan ist ein Monat der Selbsterziehung. In den religiösen Texten des Islams finden sich deutliche Anweisungen, die das Verhalten der Muslime in diesem Monat betreffen. Der reine Verzicht auf Nahrung ist die offensichtlichste Umstellung, jedoch nicht die einzige. Muslime sollen in diesem Monat an sich selbst arbeiten. Sie sollen sich in Bescheidenheit üben, indem sie tagsüber nichts essen. Nachbarschaftsliebe soll durch die nachdrückliche Empfehlung, die zubereiteten Mahlzeiten auch in die umliegenden Häuser zu tragen und gemeinsam das Fasten zu brechen gestärkt werden. Die tägliche Rezitation des Korans in Verbindung mit dem Reflektieren der darin enthaltenen Lehren sollen zu einem bewussteren Leben motivieren. Streitigkeiten und Groll werden in diesem Monat häufig beigelegt, da dieser Monat dazu anweist, diese Dinge hinter sich zu lassen und zu vergeben. Es sind moralische Werte, die in diesem heiligen Monat im Vordergrund stehen.
Wäre der Verzicht auf Nahrung der einzige Gottesdienst in dieser Zeit, wären die Kranken, die Älteren, Schwangere und Stillende betrübt, dass sie von dem Segen dieses Gottesdienstes ausgeschlossen werden. Doch mit den Weisheiten, die durch die heiligen Schriften übermittelt werden, lässt sich leicht verstehen, dass dieser Monat jeden Beteiligten mit Raum für Gottesdienst versorgt. So heißt es, dass das Fasten ein Schleier Gottes ist, der über die Augen, die Ohren, die Zunge und den Bauch gelegt wird. Somit soll man darauf achten, worauf man seinen Blick wirft und welchem Gerede man Gehör schenkt. Man soll auf die eigenen Worte achten, welche gesprochen werden sollten und welche nicht. Der Magen soll nur mit ausreichend und gesunder Nahrung gestärkt werden und nicht durch Ungesundes und Überfüllung geschwächt werden. Gemeinsam die Arbeit an sich selbst voranbringen, denn in der gemeinschaftlichen Atmosphäre, lassen sich auch schwere Vorhaben und Hindernisse leichter überwinden.
Auch mit dem Wissen und den Gedanken, dass nicht alle Muslime einen festlichen Monat in Frieden und Sicherheit begehen können, weil ihre Häuser und Familien durch Krieg gestört werden, verzaubert dieser Monat die islamische Welt – durch Anteilnahme, Protest und Liebe.
Er rief „Free Palestine“ während er niederbrannte. Aaron Bushnell war, wie er selbst in dem Livestream seines Protests sagte, ein aktiver Soldat der United States Air Force. „Ich werde nicht länger ein Komplize eines Genozids sein. Ich bin auf dem Weg, einen extremen Akt des Protests durchzuführen, aber verglichen mit dem, was die Menschen in Palästina durch die Kolonialmächte erleiden, ist dieser Akt absolut nicht extrem. Unsere Führungsklasse hat entschieden, dass dieses Vorgehen normal sein wird.“1 Die letzten Worte eines Mannes, der sich gegen das Unrecht aussprach und sich am 25. Februar 2024 vor der israelischen Botschaft in Washington anzündete.
Auch die bekannte walisische Sängerin Charlotte Church spricht sich öffentlich gegen den Krieg in Gaza und gegen die Gräueltaten der israelischen Armee aus. Die Sängerin mit weltweit über 10 Millionen verkauften Tonträgern organisierte einen Chorauftritt als Unterstützung für Palästina. In einem Interview mit Novara Media, sagt sie deutlich, dass sie sich nicht wie von englischsprachigen Nachrichtenseiten vorgeworfen, für Antisemitismus einsetze, sondern ganz deutlich zu einer Feuerpause und zu Hilfslieferungen in Gaza aufrufe.2 Britische Nachrichten wie die Daily Mail schrieben jedoch unter anderem „Die walisische Sängerin, die einen Keffiyeh Schal in Solidarität mit den Menschen in Palästina trug, wurde ebenfalls dabei erwischt „Stoppt die Besatzung“ gesungen zu haben, als sie an der Veranstaltung Samstagabend teilnahm.“
Dies bringt eine weitere Frage im Kontext dieses Krieges auf. Ist es nun verboten, das Vorgehen der israelischen Regierung und dessen Militär als Besatzung zu bezeichnen? Die Vereinten Nationen nennen die Siedlungspolitik und das militärische Vorgehen offiziell „Besatzung“.3 Spricht man sich öffentlich dazu aus und ruft zur Beendigung auf, bekommt man schnell den Stempel „Antisemit“ aufgedrückt, vor allem von den Medien der Bundesrepublik Deutschland. Sollen nun alle Menschen angesichts der erschreckenden und traumatisierenden Bilder und Videos aus Gaza schweigen und wegsehen? Können wir hinterher sagen „Wir wussten von nichts. Was hätten wir denn tun können?“
Wenn es um den Krieg in der Ukraine geht, möchte Bundeskanzler Scholz jedoch die deutsche Bevölkerung zur weiteren Unterstützung aufrütteln und eine mögliche Besatzung Europas durch Russland verhindern. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz begann er seine elfminütige Rede unter anderem mit folgenden Worten: „Täglich fordert Russlands Aggression unschuldige Opfer. Täglich wird in der Ukraine geweint, getrauert und gestorben. Und darum will ich mich in meiner Rede heute auf diesen Krieg in unserer Nähe konzentrieren.“4 Dieselben Worte gelten für den Krieg Palästina. Der Entschluss im letzten Satz ist daher umso beschämender, wenn es um internationale Sicherheitspolitik geht.
Auf der anderen Seite werden das Unrecht und die Tyrannei der derzeitigen rechten Regierung Israels im Krieg um Gaza deutlicher. Die israelische Ministerin May Golan sagte in der Knesset am 19. Februar: „Ich persönlich bin Stolz auf die Ruinen in Gaza und dass jedes Baby in 80 Jahren seinen Enkeln erzählen wird, was die Juden mit ihnen gemacht haben, nachdem sie unsere Familien ermordet haben.“5 Morde an der Zivilbevölkerung sind grausam, jedoch hatte die Bevölkerung in Gaza tatsächlich wenig mit den Ereignissen des 7. Oktober zu tun. Kann denn wirklich die Behauptung gehalten werden, dass 2,2 Millionen Palästinenser Israel überfallen haben oder war es die Hamas? May Golan ist auf jeden Fall Stolz auf die Ruinen in Gaza und darauf, dass die Palästinenser in 80 Jahren ihren Enkeln erzählen werden, dass ein Völkermord an ihnen begangen wurde.
Der Schock sitzt tief mit dem Wissen, dass in den deutschen Nachrichten nicht ein Satz über diese Aussage gefallen ist. Ist diese Aussage ebenfalls deutsche Staatsräson?
Die Trauer in Deutschland sitzt tief heute, am 19. Februar. An diesem Tag vor vier Jahren wurden neun junge Menschen in Hanau ermordet. Das Motiv des Mordes war Rassismus. Für die meisten von uns geht der Alltag normal weiter, auch wenn wir mit den hinterbliebenen trauern. Für sie ist jedoch seit vier Jahren alles anders. Nichts wird jemals so sein wie davor. Niemand kann den Opfern und ihren Familien je das Leben zurückgeben.
„Dieser Mordanschlag weckt die Politik und die Gesellschaft auf“, dachte man. „Dinge werden sich ändern“, sagte man. Doch was wurde seitdem wirklich unternommen? Übergriffe mit rassistischen Motiven sind in Deutschland eine Ausnahme, möchten einige meinen. In den Medien wird häufig nur am Rand darüber berichtet, wenn muslimische Frauen wegen ihres Kopftuchs attackiert werden. Fremdenfeindliche Übergriffe sind jedoch bei vielen der Alltag, auch wenn sie noch so klein sind. Vielmehr lesen wir in den Hauptschlagzeilen, wie schlecht sich Zuwanderer in den letzten 60 Jahren integriert haben. Als Bild der Schlagzeile eine Frau mit Kopftuch oder andere Bilder, die widerliche Klischees bedienen. Das sind keine Berichte, die in der Gesellschaft zu einem gemeinsames Wir beitragen, sondern Artikel, die die Verkaufs- und Klickzahlen der jeweiligen Zeitungen und Medien erhöhen sollen, indem sie auf die Sensationsgier der Menschen abzielen. Das Ergebnis: Nicht das Wohl der Menschen und das Gemeinschaftsgefühl der Bevölkerung wächst zusammen, sondern die Spaltung innerhalb der Gesellschaft wächst. Vielleicht sollten sich diejenigen, die an den Hebeln unseres Landes sitzen, darüber Gedanken machen, ob diese Art der Berichterstattung einen Beitrag zu Frieden leistet. Waren Medien nicht zur Aufklärung aufgerufen, die zu Zusammenhalt führt?
Wir können uns innerhalb der Bevölkerung weiter trennen und weniger als ein Wir denken. So ist es wahrscheinlich einfacher, im Falle einer Katastrophe einen Schuldigen zu finden, auf einen Feind zeigen zu können und eine mögliche Schuld, Verantwortung oder Betroffenheit von sich zu weisen. „War ein schrecklicher Einzelfall eines grausamen Rassisten, den wir verurteilen.“, könnte es dann heißen. Die Verurteilung ist einer der ersten Schritte, was ist mit der Verbesserung der Lage? Wenn man heute Kinder aus Migrationsfamilien fragt, ob sie sich tatsächlich als vollen Teil der deutschen Bevölkerung, unserer Gesellschaft sehen, wird die Antwort gelinde gesagt sicher nicht immer positiv ausfallen. Traurig, dass unsere Regierungen nach fast 65 Jahren Einwanderungsgeschichte immer noch keinen Weg gefunden haben, die die Probleme der Integration, des teilweise beidseitigen Hasses und des Rassismus ansatzweise lösen. Derzeit spürt man eher, dass sich die Probleme seit Jahren verhärten.
Heute trauert hoffentlich ganz Deutschland. Ist es eine Trauer wegen der Opfer durch ihre Familien, die nicht erlauben, dass man den Anschlag auf ihre Kinder vergisst oder ist es eine Trauer, die uns an unsere Probleme innerhalb unserer Gesellschaft erinnert und uns motiviert, diese zu lösen?
Sie waren neun Menschen von uns, unserer deutschen Gesellschaft. Gökhan, Sedat, Said, Mercedes, Hamza, Vili-Viorel, Fatih, Ferhat und Kaloyan. Man wird euch nicht vergessen. Möget ihr ewig in Frieden ruhen.
Seit wenigen Tagen ist die Feuerpause beendet, um die sich Katar und Ägypten durch Verhandlungen bemüht hatten. Bei einer UN-Resolution, bei der zu eine „sofortige, dauerhafte und anhaltende humanitäre Waffenruhe“ sowie den „ununterbrochenen, ausreichenden und ungehinderten“ Zugang von lebensrettenden Gütern und Dienstleistungen für die Zivilisten, die in der Enklave eingeschlossen sind, gerufen wurde,[1] stimmten 14 Länder gegen eine Feuerpause, unter anderem Österreich, Tschechien, Ungarn und Kroatien. 44 Länder enthielten sich, unter anderem Deutschland, Ukraine und Polen. Für eine sofortige Feuerpause stimmten 121 Länder, unter anderem die Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg.[2] Die Abstimmung fand am 27. Oktober 2023 statt und war eine formelle Reaktion der Vereinten Nationen auf die Eskalation der Gewalt seit dem 7. Oktober.
An jenem Tag erklärte die Hamas Israel den Krieg und feuerte mindestens 3000 Raketen vom Gazastreifen aus ab.[3] Sie drangen auch in die israelischen Siedlungen ein und nahmen Geiseln. Ein Anführer der Hamas, Mohammed Deif, sagte, der Angriff sei eine Reaktion auf die 16-jährige Blockade des Gazastreifens, die israelischen Militäroperationen im Westjordanland im letzten Jahr und die eskalierende Gewalt in Al Aqsa durch die israelischen Soldaten und Siedler.[4] Die Israelische Armee reagierte, wenn auch etwas zeitversetzt, mit massiven Luftangriffen auf Gaza, die zahlreiche zivile Opfer forderten und die Infrastruktur zerstörten. Die Gewalt breitete sich auch auf das Westjordanland, Ostjerusalem und die nordisraelisch-südlibanesische Grenze aus. Laut der UN sind über 1,82 Millionen Menschen innerhalb des Gazastreifens auf der Flucht.
Laut dem Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) liegt die Zahl der getöteten Palästinenser mittlerweile weit über 15.000, von denen 70% Frauen und Kinder sind und über 40.000 Verletzte.[5] Die Erfassung der Zahl der getöteten Palästinenser erweist sich als herausfordern, wenn man sich auf die deutschen Medien bezieht. Es herrscht entweder eine kontroverse Debatte darüber, wie glaubwürdig die Zahlen sind, oder es wird sehr verhöhnend von einer „hohen Zahl an Toten und Verletzten“ gesprochen. Die Würdigung der Kriegsopfer ist ein wesentlicher Aspekt der Menschenrechtspraxis, die die Grundlage des deutschen Grundgesetzt darstellt. Die Würdigung der Menschenrechte manifestiert sich auch in der Angabe der Anzahl der Opfer. Gemäß dem internationalen Völkerrecht sind die Identifizierung und Registrierung von Toten sogar vorgeschrieben.
Ferner ist eine derartige Situation ein Hindernis für eine objektive und ausgewogene Berichterstattung über den Krieg und ein Beweis für ein gänzlich fehlendes palästinensisches Narrativ. Wiederum ist das Schweigen über die palästinensische Geschichte, Identität und Rechte eine Form der Unterdrückung, Diskriminierung und Kriminalisierung der Palästinenser und verletzt die grundlegenden Prinzipien des Journalismus, weil sie nur eine einseitige Berichterstattung ermöglicht.
Auch die Struktur der Berichterstattung unterscheidet sich, wenn über den Krieg gesprochen wird. Das zeigt sich deutlich an einem der neuesten Artikel des Auswärtigen Amts, dass Reiseinformationen beinhaltet. Am 30. November 2023 heißt es bereits in der Überschrift, dass „mehr als 1.200 Menschen getötet“[8] wurden, wobei sich die Zahl auf die israelischen Opfer bezieht und seit dem 7. Oktober unverändert ist. Im nächsten Absatz wird diese Zahl wiederholt und zusätzlich die 200 Geiseln erwähnt, die von der Hamas festgehalten werden. Erst im letzten Absatz des Artikels findet sich eine knappe Erwähnung der palästinensischen Seite, die besagt, dass „die humanitäre Lage in Gaza katastrophal ist. Es gibt tausende Tote und Verletzte.“[9] Dabei wird keine präzise Zahl genannt und auch nicht klar gemacht, dass diese Menschen durch israelische Angriffe getötet wurden, sondern lediglich, dass sie tot sind. Bei einer allgemeinen Suche auf der Seite der Bundesregierung nach der Zahl 1200 werden 56 Ergebnisse angezeigt und lediglich die israelischen Opfer betreffen. Hingegen gibt es keine ansatzweisen Schätzungen zu den palästinensischen Opferzahlen, die nach Angaben der Vereinten Nationen schon mehr als 10.000 betragen.
Journalisten, die sich um eine palästinensische Perspektive bemühen, werden bedroht oder getötet. Das Komitee zum Schutz von Journalisten zählt für diesen Krieg bereit 61 getötete Journalisten durch Israel, davon sind 54 palästinensischer, 4 israelischer und 3 libanesischer Herkunft. Laut dem Komitee handelt es sich um den tödlichsten Monat für Journalisten, der jemals aufgezeichnet wurde. Hinzu kommen 19 Verhaftungen von Journalisten.[6] Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen ruft den Internationalen Strafgerichtshof auf, wegen Kriegsverbrechen zu ermitteln und hat bereits Strafanzeige erstattet.[7]
Es ist ferner laut deutscher Medien nicht erlaubt und „antisemitisch“[10], den anhaltenden Krieg gegen Gaza als genozidal zu beschreiben, obwohl die UN vor einem möglichen Völkermord durch Israels Handlungen im Gazastreifen warnt. Sie beziehen sich unter anderem auf die öffentlichen Aufrufe zur Vernichtung der Palästinenser, absichtliche Aushungerung und die Zerstörung lebensnotwendiger Infrastruktur in Gaza. Dabei fordern 19 UN-Sonderberichterstatter um sofortiges Eingreifen.[11]
Ein schwerwiegendes Kriegsverbrechen, das Israel begangen hat, ist die Zerstörung von medizinischen Einrichtungen, die einen klaren Verstoß gegen die Genfer Konventionen darstellt. Diese Konventionen schützen die Zivilbevölkerung und das medizinische Personal in Kriegszeiten und verbieten Angriffe auf Krankenhäuser, Ambulanzen und andere Gesundheitsdienste. Ein Beispiel dafür ist das Bombardement des al-Ahli Krankenhauses in Gaza am 17. Oktober. Dieses Ereignis erregte internationale Aufmerksamkeit, weil es zunächst unklar war, wer dafür verantwortlich war. Über die restlichen Zerstörungen von medizinischen Einrichtungen in Gaza gab es jedoch kaum mediale Aufmerksamkeit, obwohl die humanitäre Situation dort katastrophal ist. In einem neuesten Artikel von „The Guardian“ werden mehr als 200 Beweise, darunter Videos, Fotos, Nachrichtenaufnahmen und Satellitenbilder vom 21. Oktober bis zum 11. November analysiert und aufgezeigt, die verursachte Schäden durch die Israelische Armee an 10 Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen untersuchen. [12]
Die deutschen Medien zeigen sich realitätsfremd, als ob sie keinen Zugang zu internationalen Nachrichtenquellen hätten. In einem Artikel über den UN-Vorwurf, dass Israel Kriegsverbrechen begehe, heißt es: „Wenn sich ein Staat wehre, gebe es zwar völkerrechtliche Spielregeln, diese Spielregeln halte Israel aber absolut ein, was auch führende deutsche Völkerrechtler bestätigt hätten.“[13] Diese Aussage ignoriert jedoch die zahlreichen Beweise und Berichte, die das Gegenteil nahelegen, die unter anderem oben genannt wurden.
Eine differenziertere Debatte findet in Großbritannien statt, wo die Medienberichterstattung über den Israel-Palästina-Konflikt kritischer und ausgewogener ist. Eine Studie des Muslim Council of Britain’s Centre for Media Monitoring (CfMM) kritisierte gewisse Wörter im Zusammenhang mit einer gleichmäßigen Berichterstattung wie z.B. die Verwendung von Begriffen wie „Räumung“ oder „Eigentumsstreit“, um die illegalen Siedlungspläne in Sheikh Jarrah (Ostjerusalem) zu beschreiben, sowie die Verwendung von Begriffen wie „Zusammenstöße“ und „Konflikt“, um die Gewalt in der Al-Aqsa-Moschee zu beschreiben.[14]
Um die Sichtbarkeit der palästinensischen Narrativen zu erhöhen, gibt es mehrere Ansätze. Ein möglicher Ansatz ist die Unterstützung und der Schutz der palästinensischen Journalisten und Medienunternehmen, die von den israelischen Behörden und Siedlern Zensur und Gewalt ausgesetzt sind. Diese Journalisten und Medien bieten eine alternative und authentische Informationsquelle zur Lage und den Perspektiven der Palästinenser. Ein weiterer Ansatz ist die Erleichterung des Zugangs und des Austauschs von palästinensischen Journalisten und Medien mit westlichen Journalisten und Medien, die sich häufig auf israelische Quellen und Erzählungen stützen. Diese Journalisten und Medienunternehmen würden von der Zusammenarbeit und der Vielfalt der palästinensischen Journalisten und Medienunternehmen profitieren und eine umfassendere und differenziertere Berichterstattung über den Krieg bieten.
Für Deutschland ist es wichtig, den Nahostkonflikt und seine Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu verstehen. Die Sichtweise ist immer auch – bewusst oder unbewusst – geprägt von den etablierten Diskursen und historischen Großnarrativen über die Zeit des Nationalsozialismus. Diese beeinflussen sich zum Konflikt im Nahen Osten äußern zu können oder zu dürfen. Oftmals dominiert hier eine moralische Haltung, die sich nicht aus einer differenzierten Sachkenntnis, sondern aus einem unhinterfragten Wertekanon ergibt. Diese Moral ist jedoch oberflächlich und leer. Vielleicht hilft der Blick auf die zwei Narrative aus Israel und Palästina, um auch in Deutschland weniger moralisierend und mit mehr Sachkenntnis das eigene Großnarrativ weiterzuentwickeln.
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