Der jüngst erschienene Bericht „Bloodshed and Lies: Mohammed bin Salman’s Kingdom of Executions“ ist die erste und umfangreichste Untersuchung zu Hinrichtungen in Saudi-Arabien. Die ESOHR (European Saudi Organisation for Human Rights) und Reprieve (international aktive NGO) führte diese Untersuchung durch. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Zahl der Hinrichtungen in Saudi-Arabien sich seit der Machtübernahme von König Salman und seinem Sohn Mohammed bin Salman (MBS) die Höchsten in der jüngeren Geschichte des Königreichs sind. Allein im vergangenen Jahr ließen sie mindestens 147 Menschen hinrichten, davon 81 Menschen an einem einzigen Tag – bei der größten Massenhinrichtung des Königreichs in seiner Geschichte am 12. März 2022.

Mindestens 1.243 Hinrichtungen in Saudi-Arabien, darunter mind. 15 Minderjährige

Die im Bericht analysierten Daten zeigen, dass Saudi-Arabiens umfangreiche Anwendung der Todesstrafe von 2010 bis 2021 durch Diskriminierung, Ungerechtigkeit, falsche Darstellung und Menschenrechtsverletzungen unter Verletzung des internationalen Völkerrechts durchgeführt worden sind. Zwischen 2015 und 2021 stieg die Ausführungsrate um 82 %. Diese 6 blutigsten Jahre in der jüngeren Geschichte des Königreichs, markieren gleichzeitig, dass alle Hinrichtungen unter der faktischen Führung von MBS und König Salman stattfanden. In Zahlen gesprochen: Das Königreich habe zwischen 2010 und 2021 mindestens 1.243 Menschen hingerichtet. Von 2015 bis 2022 (König Salman kam 2015 an die Macht) gab es durchschnittlich 129,5 Hinrichtungen pro Jahr. Dies wertet der Bericht als einen Anstieg von 82 % gegenüber den von 2010 bis 2014 durchschnittlich 70,8 Hinrichtungen pro Jahr.

Seit 2013 seien mindestens 15 minderjährige Angeklagte hingerichtet worden, 11 von ihnen unter MBS. Der Bericht stellt ferner hervor, dass die tatsächliche Zahl der Hinrichtungen höher liege, weil Saudi-Arabien die UN-Anforderungen zur Veröffentlichung von Informationen über seine Anwendung der Todesstrafe nicht erfülle und die Behörden Todesurteile und Todestrakte geheim hielten. Die Annahme wird dadurch gestützt, dass die Ermittlungen zu Namen von hingerichteten Personen führten, von denen es keine öffentlichen Aufzeichnungen darüber gibt, dass sie inhaftiert, angeklagt oder zum Tode verurteilt wurden.

Schweigen wegen geopolitischer Interessen

Dieser drastische Anstieg an Hinrichtungen in Saudi-Arabien unter MBS stellt eine Krise dar, die die internationale Gemeinschaft und insbesondere die Führungsebenen der Westmächte stillschweigend hinnehmen. Die westlichen Verbündeten Saudi-Arabiens fordern keine Konsequenzen, nicht einmal Rechenschaft für die hohe Zahl an Hinrichtungen, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsbrüchen stehen, ein. Dieses Hinnehmen der Morde von und unter MBS – Stichwort Jamal Khashoggi – geben MBS grünes Licht für seine Massenmorde. Nicht zu sprechen vom Jemen-Krieg, indem Schätzungen zufolge bereits 400.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Mehr als 21 Millionen Menschen benötigen dort humanitäre Hilfe. Menschenrechtsgruppen äußern seit langem Bedenken, dass die Menschenrechtsbilanz des Königreichs von der internationalen Gemeinschaft zugunsten geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen hingenommen werde.

„Dieser Bericht gibt einen Einblick, wie die saudische Justiz aussieht, nachdem MBS von westlichen Regierungen ermutigt wurde, ihn nicht für die Ermordung des saudischen Dissidenten und Journalisten Jamal Khashoggi sowie für zahlreiche andere Verbrechen und Missbräuche, einschließlich des Krieges im Jemen, zur Rechenschaft zu ziehen “, formuliert es Abdullah al Oudah treffend, dessen Vater derzeit ein Todesurteil, u.a. wegen Tweets, droht.

Wirtschaftliche Interessen über Menschenleben – Komplizen im Krieg

Der Ukraine-Krieg hat MBS zusätzlich in die Karten gespielt, weil die wirtschaftlichen Interessen der Westmächte USA, GB, Frankreich und Deutschlands sie 2022, im blutigsten Hinrichtungsjahr, zum Händeschütteln mit MBS nach Riad brachten. Ein Staatsoberhaupt dieser genannten Staaten nach dem anderen nahm somit jegliche Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen Saudi-Arabiens hin, getrieben von Eigeninteressen in Zeiten der Energiekrise und der Rüstungsindustrie. So auch Deutschland: Saudi-Arabien gehört zu den Top-Abnehmern der deutschen Rüstungsindustrie, obwohl die Koalition von Bundeskanzler Olaf Scholz vor ihrem Amtsantritt versprochen hatte, Rüstungsexporte in Länder zu verweigern, die nachweislich direkt am Jemenkrieg beteiligt sind. Die aktuelle Regierungskoalition verantwortet aber die zweithöchsten Exporte von Waffen und Kriegsgeräten aller Zeiten, darunter auch Exporte an Saudi-Arabien und ihrer Kriegsverbündeten.

Die Heuchelei vom Einsatz für Menschenrechte oder für demokratische Ziele dieser Westmächte liegt Jahr für Jahr auf der Hand. Und dennoch lässt sich die breite Masse der Bevölkerung von ihren politischen Floskeln für den vermeintlichen Einsatz freiheitlicher Werte blenden und schwimmt in einem Mainstream mit, der uns in einen gesellschaftlichen Abgrund führt.