„Assad im Aufwind“ und „Rückkehr auf die Internationale Bühne“ – so lauteten Schlagzeilen deutscher „Qualitätsmedien“ in den letzten Tagen. Der Grund: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan scheint im Hinblick auf seine Politik gegenüber dem syrischen Präsidenten Assad eine kopernikanische Wende zu vollziehen.
Erdogan selbst sprach von einer Annäherung; er schließe ein Treffen mit Assad nicht mehr aus, so erklärte er letzte Woche. Das ist insofern bemerkenswert, da die Türkei in den letzten 10 Jahren als einer der wichtigsten Unterstützerstaaten der bewaffneten syrischen Opposition galt. Der bekannte amerikanische Investigativjournalist Seymour Hersh, der u.a. das Massaker der US-Armee in My Lai (während des Vietnam-Krieges) und den Folterskandal in Abu Ghraib aufgedeckt hatte, kam nach der Untersuchung der Giftgasangriffe 2014 in Syrien zu dem Ergebnis, dass diese durch den türkischen Geheimdienst initiiert wurden. Die Regierung Erdogan habe die USA auf diese Weise zu einem direkten Eingreifen und Sturz des syrischen „Regimes“ bewegen wollen, erklärt Hersh unter Berufung auf eine Quelle aus dem US-Geheimdienst. Fakt ist jedenfalls, dass Erdogan in den letzten Jahren massiv die bewaffnete Opposition gegen Assad unterstützte.
Nun soll, so Erdogan, durch die Vermittlung Russlands ein neuer Friedensprozess eingeleitet werden, an dessen Ende die Aussöhnung mit Assad stehen soll. Der Westen ist über diesen Schwenk alles andere als erfreut. Die Verwirklichung der amerikanischen Regime Change-Pläne in Damaskus rückt damit wohl in noch weiterer Ferne und die Aufwertung der Rolle Russlands ist für die USA und ihre willigen Helfer soundso ein rotes Tuch.
Erdogan unsicherer Kantonist
Erdogan wird für die USA nun wohl noch mehr zum unsicheren Kantonisten, ist er doch bereits durch seine Weigerung, die Sanktionen gegen Russland mitzumachen, und seine Blockade des NATO-Beitritts Finnlands und Schwedens für sie mehr als ein Ärgernis. Der Westen setzt seine Hoffnungen wohl nun auf die in diesem Jahr bevorstehende Präsidentenwahl in der Türkei im Juni. Angesichts von schlechten Umfrageergebnissen steht der seit 20 Jahren regierende türkische Präsident mit dem Rücken zur Wand, Szenarien über eine mögliche Wahlniederlage machen die Runde. Genau diese Wahlen sind für Erdogan wohl auch der Grund für seinen Schwenk in der Syrien-Politik. Er hofft wohl, die Vertreibung kurdischer Milizen aus dem Grenzgebiet mit Hilfe Assads leichter zu erreichen und sich im Hinblick auf die Kurden auf einen gemeinsamen Kurs einigen zu können.
Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage ist für Erdogan eine Lösung für die etwa 4 Millionen syrischen Flüchtlinge wichtig, die für die Türkei angesichts einer galoppierenden Inflation – nach Ansicht vieler türkischer Bürger – zu einer immer größeren Belastung zu werden drohen. Der türkische Präsident ist daran interessiert, dass die Flüchtlinge möglichst schnell nach Syrien zurückkehren können, weshalb er den Friedensprozess vorantreiben möchte. Diese Themen werden als wahlentscheidend eingeschätzt. Obwohl Erdogan durch zahlreiche Schwenks durchaus als unsicherer Kantonist gelten kann, so erscheint er noch als kleineres Übel gegenüber einem möglichen Sieg des Gegenkandidaten der Opposition (der noch nicht bekanntgemacht worden ist). Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ist bei einem Wahlsieg der Opposition mit einem Sieg eines NATO- bzw. US-freundlichen Kandidaten zu rechnen, der auch im Hinblick auf die Rechte der Palästinenser und die Souveränität des Landes nichts Gutes verheißt.
Bild: Treffen Erdogan-Assad 2009