Für deutsche Politiker und „Qualitätsmedien“ war die Sache sofort klar: Für die Sprengung des Kachowka-Staudamms kann nur Russland verantwortlich sein. Die Berichterstattung der Mainstream-Medien in dieser Sache ist dabei beispielhaft für ihre Berichterstattung im Konflikt überhaupt. Sie ist einseitig, nur ukrainische Quellen wiedergebend, einem primitiven Gut-Böse-Schema folgend, die Vorgeschichte ausblendend, Gegenargumente nicht zur Kenntnis nehmend, logische Schlussfolgerungen ablehnend.

“Das ist ja auch etwas, das sich einreiht in viele, viele der Verbrechen, die wir in der Ukraine gesehen haben, die von russischen Soldaten ausgegangen sind”, sagte Bundeskanzler Scholz beim “Europaforum” des WDR in Berlin. Diese Sichtweise mit den „vielen Verbrechen“ wird inzwischen allgemein akzeptiert. Fragt man nach unabhängigen Untersuchungen, wird man enttäuscht. Was bleibt ist, dass die Medien immer die gleiche Propaganda wiederkäuern.

Beschuss von HIMARS-Raketen

Dabei bleibt unerwähnt, dass das Kraftwerk Nowaja Kachowka viele Male von der ukrainischen Seite her beschossen wurde. Verwendet wurden unter anderem HIMARS-Raketen. Von russischer Seite wurden zahlreiche Zerstörungen am Staudamm gemeldet. Am 21.10.2022 richtete Russland ein Schreiben an den UN-Sicherheitsrat, in dem die Ukraine aufgefordert wird, Provokationen am Wasserkraftwerk zu unterlassen.

Lediglich der frühere Moderator des „Heute-Journals“, Claus Kleber, warnte gestern bei „Maybrit Illner“. Im Hinblick auf die Staudammzerstörung sollte man nicht vorschnell dem gängigen Narrativ glauben: “Die Russen machen nur Schlimmes und alles Gute, was passiert, machen die Ukrainer. Da macht man sich nicht glaubwürdig, wenn man erkennbar, nach wenigen Stunden, etwas aus der Hüfte geschossen sagt.” Der an der Diskussion beteiligte Christian Mölling, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, kann sich immerhin nicht erklären, dass „die Russen“ ihr eigenes Militärmaterial und eigene Menschen nicht in Sicherheit gebracht hatten, zweifelt das gängige Narrativ aber dennoch nicht an. Damit verweist er darauf, dass die russischen Truppen durch die Zerstörung des Staudamms Verluste an Soldaten, Ausrüstung und Militärtechnik hinnehmen mussten, da die Gebiete überflutet wurden, die unter russ. Kontrolle sind.

Sprengung schadet Russland mehr

Auch Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) stellten fest, dass durch die Fluten aus dem Stausee russische Verteidigungsstellungen vernichtet worden seien. Der Kachowka-Staudamm versorgt weiterhin auch die Halbinsel Krim mit Wasser. Russland würde sich also mit einer Zerstörung selbst ins Knie schießen. Das wird von einigen Medien (wie NTV) zwar erwähnt, aber letztlich mit „der unlogischen russischen Kriegsführung“ weggewischt. Im Klartext heißt das: „die Russen“ sind einfach dumm, töten ihre eigene Leute, Gegenargumente zählen daher nicht. Unerwähnt bleibt das mögliche Motiv der ukrainischen Seite. Ziel ist es die Einwohner der Krim im Hinblick auf die anvisierte „Befreiung“ zur Flucht zu bewegen. Stephen Bryen vertritt die Ansicht, dass nur die Ukraine ein nachvollziehbares Motiv für die Sprengung hat. Bryen ist Experte am Zentrum für Sicherheitspolitik beim Yorktown Institute.

Bryen schreibt: “[Die Ukrainer] haben den Staudamm gesprengt, um den Wasserstand flussaufwärts zu senken, damit sie bei ihren Offensivoperationen den Fluss dort leichter überqueren können. Der größte Teil des Wassers in der Provinz Cherson landete nämlich auf der russischen Seite, was der ukrainischen Flanke sowie der Stadt Cherson einen höheren Schutz bietet.” Diese Einschätzung passt zu Berichten, wonach die Ukrainer Einheiten aus dem Raum Cherson nach Osten verlegen wollen. Die Russen hätten Bryen zufolge hingegen keinen Grund dazu. “Es ist schwer zu erkennen, was die Sprengung des Staudamms Russland nützen soll”, so Bryen. Ein Bruch des Staudamms wäre für das Kernkraftwerk Saporoschje, das große Mengen an Kühlwasser benötigt, mit ernsten Problemen verbunden. Die Katastrophe bedroht zudem die Verteidigung der Russen in jenen Gebieten, die sie flussabwärts halten, so der Experte.

Ukraine testete Sprengung

US-Fernsehkommentator Tucker Carlson kam immerhin zu folgender Schlussfolgerung: „Die Sprengung des Staudamms mag eine schlechte Entwicklung für die Ukraine sein, aber sie schadet Russland mehr. Das ist der Grund, warum die ukrainische Regierung zuvor seine Zerstörung in Betracht gezogen hatte. Im Dezember zitierte man [bei der Washington Post] einen ukrainischen General mit der Aussage, dass seine Mitarbeiter testweise US-Raketen [von HIMARS] auf das Tor des Staudamms abfeuerten. Wenn die Fakten auf den Tisch kommen, scheint das, was mit dem Damm passiert ist, schon weniger rätselhaft zu sein. Ein vernünftig denkender Mensch würde zu dem Schluss kommen, dass die Ukrainer ihn wahrscheinlich in die Luft gejagt haben. Genauso wie sie, so könnte man annehmen, im letzten Herbst die russische Nord Stream-Pipeline in die Luft gesprengt haben. In Wirklichkeit waren es aber die Ukrainer, wie wir jetzt wissen.”