Seymour Hersh ist nicht irgendein Journalist, er ist eine lebende Journalistenlegende. Weltberühmt wurde er 1969, als er das Massaker der US-Armee in My Lai (Vietnam) aufdeckte. Dafür erhielt der langjährige Mitarbeiter bei „The New Yorker“ den Pulitzer-Preis. Im Jahr 2004 machte Hersh den Folterskandal von Abu Ghraib öffentlich. Letzten Mittwoch (am 8.2.23) veröffentlichte der US-Journalist die Ergebnisse seiner Recherche zum Anschlag auf Nord Stream 2 auf seinem Blog. Und diese haben es in sich, denn demnach sind die USA für den Anschlag verantwortlich.

Russlands Schuld vom Tisch

Hersh zufolge haben US-Taucher im Rahmen einer NATO-Übung (BALTOPS) Sprengstoff unter der Nord Stream Pipeline platziert. Nach den Recherchen von Hersh spielte der nationale Sicherheitsberater der USA, Sullivan, bei der Erstellung des Sabotageplans eine Schlüsselrolle. Die Entscheidung zur Sprengung von Nord Stream 2 traf demnach US-Präsident Biden persönlich nach einer geheimen Diskussion mit dem nationalen Sicherheitsteam. Hersh bezieht sich auf eine anonyme Quelle, die aller Wahrscheinlichkeit nach in der CIA zu suchen ist.

Das ist nun so überraschend nicht, denn schließlich hat Biden öffentlich geäußert, dass man dieses Projekt verhindert. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat vor kurzem mitgeteilt, dass sie nicht mehr dem Verdacht nachgehe, dass Russland seine eigenen Leitungen selbst gesprengt habe, wie dies ursprünglich von deutschen Medien und US-hörigen Politikern behauptet wurde. Dass die Spuren nach Washington führen, dürfte jedem klar sein, der sich näher mit der Geschichte von Nord Stream 2 befasst hat. Die Bundesregierung hat an einer Aufklärung offensichtlich wenig Interesse, sondern vernebelt. Die Zündung der Sprengsätze soll durch eine akustische Boje erfolgt sein, die eine Folge niederfrequenter Töne abgegeben haben soll, die sich von den üblichen Hintergrundgeräuschen klar unterscheiden müssen. Diese Signale müssten von den zahlreichen Mikrofonen, die in der Ostsee hängen, im entsprechenden Zeitraum aufgezeichnet worden sein, denn Schall breitet sich unter Wasser gut über Hunderte von Kilometern aus. Das ließe sich also leicht überprüfen.

Wenn Unrecht zu Recht wird

Doch es ist mehr als zweifelhaft, ob die Bundesregierung überhaupt dran interessiert ist. „Wer greift uns hier gerade an?“ titelte die Bild-Zeitung nach dem Anschlag. Russland hat Deutschland nicht angegriffen, aber deutsche Regierungsmitglieder sprechen davon, dass sie sich im Krieg mit Russland befinden. Wenn sowas an die Öffentlichkeit kommt, dass die USA Deutschland angriff, wäre das ein herber Schlag für die ganze deutsche Außenpolitik.

Die deutschen „Qualitätsmedien“ sind daher in fast allen Artikeln zu der Hersh-Recherche bemüht, die Glaubwürdigkeit des einst hochgelobten Journalisten zu erschüttern und das Dementi der US-Regierung herauszustellen, als wäre die US-Regierung eine letzte moralische Instanz. Die Bundesregierung geht in ihrer unwürdigen Kriecherei offenbar so weit, dass sie trotzdem schweigen und ggf. sogar Unrecht zu Recht deklarieren würde, selbst wenn die Urheberschaft der USA zweifelsfrei öffentlich feststünde.

Bild: Der ehem. polnische Außenminister Sikorski bedankte sich bei Twitter kurz nach dem Anschlag bei den USA.