Die Normalisierung der Beziehung zu Israel und ihre Folgen (Teil 2) 

Die Normalisierung der Beziehung zu Israel und ihre Folgen (Teil 2) 

Die Normalisierung der Beziehung der muslimisch geprägten Länder zu Israel schreitet immer weiter voran. Ein großer Wendepunkt stellt das sogenannte Abraham-Abkommen dar. Diese Abkommen soll für Frieden zwischen den Unterzeichnern sorgen, dabei wird insgeheim auch eine Allianz gegen den Iran gegründet.

Handelsgeschäfte und Aufhebung von Sanktionen durch die normale Beziehung zu Israel

Im letzten Teil sprachen wir über die Türkei und ihrer Wiederaufnahme der Beziehung zu Israel. Die Türkei ist aber nicht das erste muslimisch geprägte Land, welches die Beziehung zu Israel normalisiert. Neben Jordanien und Ägypten, die bereits seit langem Frieden mit Israel geschlossen haben, wurde im Jahre 2020 das sogenannte Abraham Abkommen zu Papier gebracht. Unterzeichnet haben dieses Abkommen bis jetzt Bahrain, VAE (Vereinigte Arabische Emirate), Israel, USA und der Sudan. Wichtigster Absatz dieses Abkommens ist, dass die unterzeichnenden Länder die Bedeutung der Erhaltung und Stärkung des Friedens auf der Grundlage des gegenseitigen Verständnisses und der Koexistenz anerkennen. Natürlich sollen weitere Länder wie Saudi-Arabien, Katar aber auch die Türkei folgen.

Beim dem Sudan, dem aktuell letzten Unterzeichner, gab es seitens der USA ein lukratives Angebot. Schließlich bewerteten die USA den Sudan als Land, das den Terrorismus unterstützte. Dementsprechend gab es auch Sanktionen, die das Land wirtschaftlich in eine sehr brenzlige Lage brachten. Das Angebot der USA war es, den Sudan von der Terrorliste zu streichen und ihnen Geld und Handelsverträge zu geben, wenn sie den Frieden mit Israel unterschreiben. Anfänglich warfen die Sudanesen den USA eine versuchte Erpressung vor. Mittlerweile haben sie jedoch dem Frieden zugestimmt. 

„Israel hat die Normalisierung ohne Gegenleistung erhalten“

Dabei verlangte vor 20 Jahren die Arabische Liga von Israel für die Normalisierung der Beziehung zu ihnen, dass Israel die Besatzung aller arabischen Gebiete beendet. Außerdem sollten die Palästinenser einen eigenen Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt bekommen. Beide Forderungen blieben bis heute unerfüllt. Und trotzdem unterzeichneten die oben erwähnten Länder das Abraham Abkommen. Dies kommt der Anerkennung der Besatzung gleich.

So sagt Hanan Ashrawi, die der Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation angehört, über die Normalisierung:

„Sie ist eine implizite Anerkennung der Besatzung, der Annexion Jerusalems sowie der Gesetzlosigkeit und Straffreiheit Israels. Israel hat die Normalisierung ohne Gegenleistung erhalten. Das wird Israel stärken und gleichzeitig internationales Recht in der Region schwächen.“

Hanan Ashrawi von der PLO

Palästinensische Bestrebungen interessieren die arabischen Führer nicht

Laut Völkerrecht sind die Siedlungen im besetzten Westjordanland illegal. Jedoch hat der israelische Politikwissenschaftler Emmanuel Navon, der die Siedlungen als ein Teil Israels ansieht, eine andere Meinung. Er lebt selbst in der Siedlung Efrat südlich von Jerusalem. Für den Frieden in Israel bräuchte man nämlich kein Abkommen mit den Palästinensern:

„Natürlich ist es wünschenswert, eine Lösung mit den Palästinensern zu finden. Aber die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass der Konflikt für Israel auch ohne eine Lösung beherrschbar ist. Die Annahme, dass ein fehlendes Abkommen mit den Palästinensern einem Desaster für Israel gleichkommt, dass es dann keinen Frieden gibt, stimmt einfach nicht.“

israelische Politikwissenschaftler Emmanuel Navon

Außerdem sagt er offen, dass die arabischen Führer kein Interesse an der palästinensischen Sache haben:

„Seien wir ehrlich: Von den arabischen Führern kommen Lippenbekenntnisse gegenüber den palästinensischen Bestrebungen. Aber in Wahrheit interessiert es sie nicht. Jeder weiß das.“

israelische Politikwissenschaftler Emmanuel Navon

Das Abraham Abkommen dient auch als Allianz gegen den Iran  

Israel ist nicht das einzige Land, welches gegen ein Atomabkommen mit dem Iran ist. Auch in Saudi-Arabien und den VAE ist man davon überzeugt, dass Trumps einseitiger Ausstieg aus dem Atomabkommen und die Sanktionen gegen den Iran genau richtig waren.

Der Politologe Karim al-Makdisi von der Amerikanischen Universität Beirut schließt es deshalb nicht aus, dass das Abraham-Abkommen früher oder später zu einer offenen israelischen Militärpräsenz am Golf führt. 

„Die Kampagne des maximalen Drucks auf den Iran geht weiter. Und nun bringt man die Golf-Araber mit den Israelis zusammen, Israel zuliebe. Das ist nicht Teil einer Strategie für Stabilität und Frieden, sondern die eine Seite wird bestraft, die andere belohnt. Aus meiner Sicht bedeutet das eine größere Instabilität.“

Politologe Karim al-Makdisi

Da kommen die aktuellen Destabilisierungsversuche durch den Tod von Mahsa Amini im Iran gerade richtig, um die laufenden Atomverhandlungen mit dem Iran, unter der Biden-Regierung, endgültig zu kippen.

Die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux bezeichnet Israel als Apartheidsstaat

Auf der anderen Seite sehen wir die 82-jährige französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux, die eine Normalisierung der Beziehung mit  Israel ablehnt. Sie unterzeichnete einen Brief aus dem Jahr 2018 zu dieser Thematik. In diesem Brief steht unter anderem:

 „Es ist eine moralische Verpflichtung für jeden Menschen mit Gewissen, die Normalisierung der Beziehungen zum Staat Israel abzulehnen“

Wiederholt bezeichnete die Literaturnobelpreisträgerin Israel als „Apartheidsstaat“ und zog einen Vergleich zum ehemaligen Apartheids-Regime in Südafrika. 

Man muss also kein Muslim sein, um sich für die Unterdrückung der Palästinenser einzusetzen. Umso trauriger ist es jedoch zu sehen, wie sich Muslime für weltliche Vorteile, direkt oder indirekt, gegen die eigenen Glaubensgeschwister stellen und sich somit eine Teilschuld aufbürden.

Israel
Unterzeichnung des Abraham Abkommens vor dem Weißen Hause, September 2020
Tom Brenner / Reuters
Die Normalisierung der Beziehung zu Israel und ihre Folgen (Teil 1) 

Die Normalisierung der Beziehung zu Israel und ihre Folgen (Teil 1) 

Mit der Türkei erweitert sich die Liste der muslimisch geprägten Länder, die ihre Beziehung zu Israel normalisieren. Diese Normalisierung sorgt dafür, dass die Menschen eine Gleichgültigkeit für die Unterdrückung des palästinensischen Volkes entwickeln. In diesem Teil geht es um die Normalisierung der Beziehung zwischen der Türkei und Israel.

Erdogan galt für viele als Held, der sich für die Palästinenser einsetzte

Im Jahre 2009 ging Erdogan für seine bekannten „One-Minute“ Rede gerade unter den Muslimen viral. Er wurde als Held gefeiert, der sich für die Palästinenser einsetzte.

Doch schon damals pflegten die Türkei und Israel ein gemeinsames Bündnis. Dieses Bündnis wurde im Jahre 2010 erschüttert. Auslöser dafür war die Erstürmung eines Gaza-Solidaritätsschiffs durch die israelische Marine. Bei der Erstürmung tötete die israelische Marine zehn türkische Staatsbürger. Sechs Jahre später kam es zu einer ersten Wiederannäherung. Aber auch diese hielt nicht lange. Seit der Gaza-Krise 2018, die aufgrund der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem eskalierte, hatten die beiden Länder keine Botschafter mehr im jeweils anderen Land.  

Im Jahre 2017 sagte der türkische Präsident Erdogan noch folgendes über Israel:  

„Was ist der Unterschied zwischen den aktuellen Praktiken der israelischen Führung und der rassistischen und diskriminierenden Politik, die damals in Amerika und bis vor kurzem in Südafrika gegen Schwarze angewandt wurde?“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan

Außerdem nannte er Israel einen terroristischen Staat:

„Palästina ist ein unschuldiges Opfer (…) Was Israel anbelangt, das ist ein terroristischer Staat, ja, terroristisch!“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan

Die Heuchelei Erdogans zeigt sich in der Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen mit Israel

Israels Regierungschef Lapid und der türkische Staatschef Erdogan haben sich am Rande der UN-Vollversammlung in New York getroffen. Es war das erste Treffen seit fast 15 Jahren zwischen dem türkischen Präsidenten und einem israelischen Ministerpräsidenten. Laut Lapid war es ein „produktives Treffen“ gewesen. Außerdem schrieb er:

„Die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei sind ein Schlüssel für regionale Stabilität und bringen beiden Ländern greifbare Vorteile“

Israels Regierungschef Jair Lapid

Und:

 „Wir haben darüber gesprochen, wie wir die Beziehungen beider Länder nach Jahren der Krise voranbringen können.“

Israels Regierungschef Jair Lapid

Die Normalisierung der Beziehung zu Israel erzeugt eine Gleichgültigkeit für die Unterdrückung des palästinensischen Volkes

Durch die Normalisierung der Beziehung der Türkei und anderer muslimisch geprägten Länder zu Israel, entsteht bei den Menschen eine Gleichgültigkeit für die Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Nach außen hin wird den Nicht-Muslimen nämlich vermittelt, dass die Muslime, die ständig darüber sprechen eine Gemeinschaft (Umma) zu sein, sich nur um ihre eigenen landespezifischen Interessen kümmern und den Unterdrückten in der muslimischen Gemeinschaft nicht zu Hilfe eilen. Und die Muslime selbst, die sehen, wie ihre Führer Israel die Hand ausstrecken, sehen die eigenen wirtschaftlichen Vorteile und vergessen das Leid ihrer palästinensischen Geschwister. Dieser Zustand der Gleichgültigkeit lässt sie jedoch eine Teilschuld an der Unterdrückung der Palästinenser haben.

Im nächsten Teil geht es um das Abraham-Abkommen und was dies mit dem Iran zu tun hat und wie sich die aktuelle Literaturnobelpreisträgerin gegen Israel ausspricht.

Israel
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (rechts) und der israelische Präsident Isaac Herzog auf einer Konferenz in der türkischen Stadt Ankara. picture alliance / Xinhua News Agency | Mustafa Kaya, Picture Alliance